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Erzgebirgs-Weihnacht in Seiffen

Beobachtungen bei den Mannlmachern, den Dicknischln der besonderen Art

Die Schweizer Alpenländler behaupten von sich, dass sich Weihnachten bei ihnen in den Bergen mit keinem anderen Fest auf dieser Welt vergleichen kann. Mit andächtig verklärten Augen schwärmen die Österreicher von den alten Weihnachtsliedern, wie sie zur Advent- und Weihnachtszeit von den Salzburger Kirchtürmen geblasen werden. Und die Deutschen meinen, ihre Weihnachtsmärkte seien die innigsten in ganz Europa.
Dass mit Deutschland dabei hauptsächlich der Freistaat Bayern gemeint sein kann, wird einem schlagartig gewiss, wenn man dem Berliner Weihnachtsmarktrummel mit heiler Haut entfliehen konnte. Das jedenfalls war die gängige Auffassung vor etlichen Jahren. Zu einer Zeit, als es im Westen Deutschlands schon längst die nicht entflammbare synthetische Fichte zum Zusammenklappen mit dem Tannenduft aus der Spraydose gab, während die rückständigen, aber umweltbewussten Ostdeutschen, sich ihren Weihnachtsbaum noch immer heimlich aus dem Wald schlagen oder von einem der Märkte für einen Spottpreis erstehen mussten.
Auch die täuschend echt aussehenden, fernöstlichen Imitation der traditionsreichen erzgebirgischen Weihnachtsfiguren wie etwa Nussknacker, Räuchermann und Pyramide, wie sie heute so preiswert in jedem Supermarkt, gleich neben den pflegeleichten Weihnachtsbäumen, zuhauf aufgetürmt sind, waren für den Vorwende-Erzgebirger unerreichbar. Er musste sich mit den profanen geschnitzten oder gedrechselten Holzfiguren aus der gleichgeschalteten heimatlichen Staatsproduktion das Weihnachtsfest versauern lassen.

Damit war nun endlich Schluss! Schließlich ist man auch hier oben hinter den Bergen für die Freiheit des nicht nadelnden Weihnachtsbaumes mit brennenden Kerzen (übrigens damals noch echten) auf die Straße gegangen. Aber auch diese Zeit liegt schon wieder ein paar Jährchen zurück und die einst demonstrierenden oder sich stets anschmiegenden Dicknischl aus dem deutschen Weihnachtsland - so nennt man das Erzgebirge nämlich seit alters her - haben von ihrer Reisefreiheit weidlich Gebrauch gemacht. In hellen, heiteren Scharen sind sie in vollgepferchten Bussen alljährlich, insbesondere zur Weihnachtszeit, in ihre zukünftige Vergangenheit gereist: Nach Nürnberg, München, Salzburg, Wien und an andere Plätze dieser gemütlichen europäischen Ecken, um weihnachtliche Atmosphäre zu schnuppern. Schnupperreisen nennen das dann auch die nimmermüden Unternehmen mit ihren Billigangeboten. Zur großen Überraschung fanden die Gebirgler auf den dortigen Weihnachtsmärkten unter echten Tannen und Fichten auch kleine Buden aus Holz in denen - und jetzt kommt das Unglaubliche - ihre Räuchermänner (darunter auch Türken), Engel und Bergmänner, die Pyramiden und Schwibbögen, all die Nussknacker und Engelkapellen für gepfefferte Preise angeboten wurden.

Die Männelmacher aus Seiffen, jenem Ort im Erzgebirge, in dem seit über 120 Jahren Holzfiguren hergestellt werden, verstanden die Welt nicht mehr. Sie bestaunten ihre Produkte und konnten es gar nicht fassen als eine zobelpelzbemantelte Dame ihrem gamsbartbestückten Goldrandbrillenträger mit ihrem niedlichen bayerischen Akzent kaum dazu überreden brauchte, für ihr geräumiges Wohnzimmer eine der den venezianischen Lüstern nachempfundene
Holzspinne aus dem Erzgebirge für schlappe 400 Euro zu kaufen. Einer der fassungslosen Schnitzer konnte es sich nicht verkneifen, mit seinen schwieligen Händen einem der zierlichen Engeln heimlich unter den Rock zu schauen, dorthin, wo für gewöhnlich Made in China eingebrannt steht. Mit strahlenden, aber doch etwas skeptischen Blicken konnte er seiner Frau in nahezu tränenersticktem Hochdeutsch - was einem von dort oben nun wahrlich nicht leicht fällt - vorlesen: „Erzgebirgische Volkskunst Seiffen“

„Es ist wieder Weihnacht im Erzgebirge“ - raunt man sich heutzutage selbst außerhalb der Grenzen Deutschlands zu. Und das will auf etwas ganz Besonderes hindeuten. Auf einen Landstrich, in dem die Menschen zur Weihnachtszeit ihre Fenster mit Lichtern schmücken, wie sonst nirgendwo auf der Welt. Auf eine Gegend, in der man sich zu Hause fühlen kann, auch dann, wenn man aus der fremdesten Fremde kommt.
Ziemlich schnell versteht man dann, was mit diesem seltsamen erzgebirgischen Lauten „Dr ham, is dr ham!“, jener hochdeutschen Feststellung „Daheim ist daheim!“, wirklich gemeint ist: Um die sechste Stunde läuten in den Dörfern und Kleinstädten die Kirchenglocken. Das ist die Zeit, wo das so genannte „
Neinerlaa“ (Neunerlei) - ein aus neun Speisen bestehendes einfaches Mahl - auf den Heilig-Abend-Tisch kommt, auf dem ein extra Teller „für den Fremden Gast“ gestellt wird, wie es der hier oben noch heute praktizierte Ritus verlangt.
Selbstverständlich hat unter der Tischdecke etwas Stroh zu liegen und unter den Tellern kleine Münzen, beides um die Mächte der Weihnacht darauf aufmerksam zu machen, dass auch im kommenden Jahr immer genügend Kleingeld im Haus sein möge. Die Kinder können die Bescherung kaum erwarten, die meistens noch vor der Mitternachtsmetten erfolgt, um nicht, wie in anderen Gegenden, die lieben Kleinen noch bis zum ersten Weihnachtsfeiertag auf die Geschenke-Folter zu spannen. Nun rückt der Stollen, dieses üppige Weihnachtsgebäck - das die Form des in Windeln gewickelten kleinen Jesusknaben haben soll - in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Denn nur am Weihnachtsabend darf dieses gute Stück in streng (aber)gläubigen Erzgebirgsfamilien angeschnitten werden. Andernfalls stirbt jemand aus dem Kreis der Lieben, was ebenfalls dann zu befürchten ist, wenn der Stollen auf dem Transport vom Bäcker nach Hause zerbricht.

Doch jetzt ist es so weit. Die Glocke von der kleinen, rundeckigigen Seiffener Barockkirche ruft nicht nur die Gläubigen zur Mitternachtsmetten. Der Schnee knirscht vor Kälte unter den schweren Tritten der Männelmacher, die mit ihren Laternen den Weg durch die dunkle Nacht bahnen und vielleicht nicht nur auf diesem Gang zur spärlich erleuchteten Kirche den rechten Weg weisen...

G.B.S.

 

 

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