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Türken im Erzgebirge

Wie eine Marotte den Sächsischen Hof zum qualmen brachte

Seit nun per Volksentscheid in der Schweiz keine Minarette mehr errichtet werden dürfen und bevor auch bei uns jemand zu einem Volksbegehren gegen unseren Muselmanen unter den erzgebirgischen Räuchermännern aufruft, soll in aller Kürze geklärt werden, wie der Türke unter all die rauchenden Bergleute, Förster, Nachtwächter, Besenbinder – gar noch neben einem christlich-keuschen Engel – qualmend zu stehen kommt.

Nun, es handelt sich hier nicht etwa um eine rauchende terroristische Vorhut mit islamischen Missionarsabsichten, sondern vielmehr um eine Marotte unseres einstigen Landesvater August dem Starken.
Er konnte sich der Mode, die sich Mitte des 18. Jahrhunderts auch in Sachsen verbreitete, nicht entziehen. Der Orientalismus, der so genannte „Türken-Kult“, eroberte nicht nur Bereiche der Architektur und der Künste, auch aus den fürstlichen Küchen kamen Speisen und Getränke, die Handelsreisende aus dem Orient mitbrachten. Im Grünen Gewölbe sind kostbare Exponate aus jener Zeit und deren Modeerscheinungen zu besichtigen.
Die Affinität des sächsischen Hofes zum Orient hing vermutlich auch damit zusammen, dass im Jahre 1683 sächsische Truppen mit daran beteiligt waren, das Türkenheer vor Wien – unter der Führung von Pascha Kara Mustafa – vernichtend zu schlagen. Das Lammfleisch kam wieder auf die Tische, und danach wurde ein starker Kaffee zum Schmauchen einer Wasserpfeife serviert. Natürlich in orientalischer Kleidung, in die sich selbst der Kurfürst hüllte, wie z.B. zum Karneval 1697, als August als Sultan verkleidet erschien. Vom Sieg über die Türken zeugt dann auch das „Janitscharenkorps“, eine Elitetruppe hoch zu Ross, das am sächsischen Hof 1719 gebildet wurde.
Bergbeamte aus dem Erzgebirge hatten dem Kurfürsten regelmäßig Bericht über die Ausbeute der Gruben zu geben, damit dieser seinen Hofstaat weiter versilbern konnte. Dabei trafen sie auch auf die diensteifrigen „Kammer-Türken“ mit ihrem Turban, dem langen Kaftan über den Beinkleidern, den silbernen Borden am Gewand, den gelben Saffian-Stiefeln, wie sie vor den Kammern des „Großen Sultan“ Wache hielten oder auf dem Divan an einer Wasserpfeife saugten – wie sie der Hofmaler Graenicher 1790 beschrieb.

Es lag also auf der Hand, diese alten und bunten Paradiesvögel in der Volkskunst nachzubilden. Somit sind also unsere gedrechselten oder geschnitzten Türken, die neben all den anderen Räuchermännchen zur Weihnachtszeit nabeln, eigentlich nur eine Art Türken-Ersatz, es ist ja nur der verkleidete Hofstaat August des Starken aus Dresden. Kein Grund also, irgend eine islamistische Gefahr von diesen rauchenden Hohlköpfen zu wittern. Ihre Rauchzeichen sind eher als Signale der Toleranz zu verstehen, wie sie vor vielen Hundert Jahren mitunter am sächsischen Hofe schon einmal existierte und bis hinauf in unser Erzgebirge ihre Spuren hinterließ…
 

G.B.S.