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Nicht alles kommt vom Bergwerk her

Der Chemnitzer Wissenschaftler und Pädagoge Helmut Max Klemm hat seine Dissertation über den Einfluss der Freimaurer beim Aufbau der Bildungseinrichtungen – insbesondere der Sonntagsschulen – im Spannungsfeld zwischen Aufklärung und industrieller Revolution als Buch veröffentlicht. Neben Beispielen aus Preußen und Thüringen nehmen die aus Sachsen, darunter auch aus Annaberg, breiten Raum ein. Auch von dort erbringt er den Nachweis, dass sich im 18. und 19. Jahrhundert eine neue Gründergeneration herausbildete, die insbesondere im Bildungswesen aktiv war und dort die Voraussetzungen für die industrielle und kulturelle Entwicklung auch in Sachsen und dem Erzgebirge schuf.

Nachdem der Autor Helmut Max Klemm eine umfangreiche Abhandlung über die Geschichte der Freimaurerei in Europa, in Deutschland und speziell in Sachsen gegeben hat und dabei auf deren humanistisches, bildungspolitisches und soziales Handeln eingegangen ist, untersucht er die Förderung der Industrialisierung in Sachsen durch die Logen, aber auch durch die Nichtfreimaurer in seiner umfangreichen Publikation. An zahlreichen Beispielen - und durch Quellen gut dokumentiert – belegt er, dass z. B. der sächsische Maschinenbau ein Kind der Textilindustrie ist, die ihre Wiege im Erzgebirge hatte. Zahlreiche Maschinenbau-Unternehmen werden als Nachweis für diese Entwicklung angeführt. Parallel dazu ist der Ausbau der Infrastruktur, insbesondere des Eisenbahnnetzes, eine dringendes Erfordernis jener aufgeklärten Gründerjahre. Freimaurer Annaberg (Andere)

Bereits ein Kapitel weiter macht der Autor deutlich, dass diese rasante Entwicklung von allgemeiner Bildung und beruflicher Ausbildung begleitet werden muss, wenn sie dem sich auch international entwickelndem Fortschritt nicht nachstehen will. So entwirft er einen weiten und sehr lesbaren Bogen der beruflichen Bildungsgeschichte vom Handwerk bis zur industriellen Fertigung, immer auch im Vergleich zwischen Preußen, Thüringen und hauptsächlich Sachsen, zumal der Autor durch seine Tätigkeiten im beruflichen Bildungsbereich, durch sein Lehrerstudium am Pädagogischen Institut Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), sein Staatsexamen in Polytechnik und Mathematik sowie seinen Kenntnissen im Maschinenbau tiefen Einblick in die Materie erlangen konnte. Hier schreibt also ein erfahrener Fachmann über wissenschaftliche und pädagogische sowie bildungspolitische Prozesse und deren historische Entwicklung in den beiden vergangenen Jahrhunderten.

Breiten Raum nimmt dabei die Untersuchung der Freimaurer ein, die sehr häufig als Initiatoren, Stifter und Betreiber von Bildungseinrichtungen agieren, aber mit ihrer wertvollen Tätigkeit im öffentlichen Bewußtsein kaum wahr genommen werden. So ist es überraschend zu erfahren – und nicht nur hier besitzt das Buch enormen Neuigkeitswert –, dass zahlreiche Schulgründungen auch in Sachsen auf Freimaurer-Initiativen zurück gehen, bzw. auch in Trägerschaften von Logen standen wie z.B. das Freimaurerinstitut in Dresden, das bereits 1773 gegründet wurde. Carl Köselitz (Andere)
Ihr Hauptaugenmerk richteten die Freimaurer aber auf die Gründung der Sonntagsschulen, die etwa zwischen 1805 (Gotha) und 1823 (Annaberg) landesweit entstanden. Über die Entstehung und Entwicklung der Freimaurer-Loge
„Zum treuen Bruderherzen“ (1855) in Annaberg (Foto: ehemalige Annaberger Loge), von der die Gründung der hiesigen Sonntagsschule veranlasst wurde, zitiert Helmut Klemm ausführlich aus den Beiträgen zum Thema aus dem Annaberger Wochenblatt (2015). Besonders widmet er sich dabei dem Gründungsvater unserer Sonntagsschule, die am 6. Juli 1823 vom Annaberger Kaufmann und Freimaurer (zunächst noch Mitglied in der Loge „Harmonie“ in Chemnitz) Julius Carl Köselitz (Foto) in dessen Wohnung, den späteren Redaktionsräumen des Annaberger Wochenblattes (Markt/Ecke Kleine Kirchgasse), ihre Tätigkeit aufnahm. Darüber hinaus geht er auch auf die Tätigkeit dieses „zweiten Annaberger Gründervaters“ und auf dessen Gründung des Annaberger Gewerbevereins ein, der dann von seinem Sohn, dem Färbereibesitzer und Stadtrat, Hermann Köselitz, zur gesellschaftlichen Blüte geführt wird. Hier sei vermerkt, dass zum umfangreichen und internationalen Wirken der Familie Köselitz – Weltbürger aus Annaberg - Eine Familien- und Stadtbiographie“ eine Buchpublikation (Autor: Gotthard B. Schicker) im Spätsommer 2017 erscheinen wird.

Mit seiner ausgezeichneten Dissertation in Buchform legt der Autor ein sehr wichtiges Material vor, das durch umfangreiche Recherchen, faktenreiche Beispiele und in einer sehr lesbaren Form eine historische Lücke schließen hilft. Untersucht die Arbeit doch die frühen Gründungen von beruflich orientierten Schulen, insbesondere die Sonntagsschulen, die im Zusammenhang mit dem Bildungsangebot und den schulpolitischen Notwendigkeiten bisher kaum Beachtung fanden.
Darüber hinaus beantwortet der Autor die ebenfalls bisher unterbelichtete Frage nach den Akteuren dieser Entwicklung. Überraschend dürfte für viele sein, welche aufgeklärte und die Entwicklung bestimmende Rolle dabei die Freimaurer – als Logen oder als Einzelpersonen, wie z.B. in Annaberg – spielten, zumal sich Freimaurer im Rahmen ihres Selbstverständnisses „Tue Gutes und sprich nicht darüber!“ in der Öffentlichkeit kaum dazu bekennen. Im wahrsten Sinne des freimauerischen Anspruchs hat der Autor auch diesbezüglich viel „Licht ins Dunkel“ gebracht.

Dieses Buch ist auch deshalb ein verdienstvolles, da der Autor Dr. Helmut Klemm darin nachweist, dass eben nicht „alles vom Bergwerk“ herkommt, wie mitunter ungeprüft dieser Slogan im Erzgebirge Verwendung findet, sondern die Gründungen – darunter nicht nur die Bildungseinrichtungen – im Spannungsfeld zwischen Aufklärung auf allen Gebieten und der einhergehenden Ausprägung der industriellen Revolution mit den Gründungsvätern der ersten Generation (wie etwa Herzog Georg der Bärtige) und deren Leistungen durchaus vergleichbar sind.

Helmut Klemm: „Die Mitwirkung deutscher Freimaurer beim Aufbau beruflicher Sonntagsschulen
im Spannungsfeld zwischen Aufklärung und industrieller Revolution –
Gezeigt an Beispielen in Preußen, Sachsen und Thüringen“
,
Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2017, 525 Seiten, ISBN 1610-6962

g. b. s.