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Jüdische Gemeinde Annaberg im Fokus des Gedenkens

Die Gedenkveranstaltungen zum Jubiläum der 125. Wiederkehr der Gründung der Jüdischen Gemeinde in Annaberg fanden im Kontext des 70. Jahrestages der Befreiung vom Hitlerregime statt und brachten Einsichten in die immense Bedeutung diese vergleichsweise kleinen Einwohnergruppe in unserer Heimat.

Mit der rasanten Entwicklung der Textil-, besonders der Posamentenindustrie im Erzgebirge, war besonders seit dem 19. Jahrhundert eng der nationale und internationale Handel verbunden, dessen Vertreter sich hier niederließen. Viele von ihnen waren jüdischer Abstammung und Glaubens. Der Bürgermeister von Annaberg-Buchholz, Thomas Proksch, nahm in seinem Grußwort auf der Gedenkveranstaltung genau am 12. Mai, dem 125. Jahrestag der Gründung der Israelitischen Religionsgemeinde, im großen Saal des Hauses des Gastes Annaberg-Buchholz „Erzhammer“ Bezug: „Das war ein Beginn voller Hoffnung in einer hoffnungsvollen Zeit für unsre Stadt“, betonte der Bürgermeister.
Zunächst 1895 als eingetragener Verein gegründet, habe die Gemeinde bis 1904 warten müssen, um als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ anerkannt zu werden. Die Gemeinde bestand aus ca. 150 Personen. Die Aktivisten dieser besonders aktiven Bevölkerungsgruppe sind als Förderer von Industrie, Handel, kommunalen Intitiativen und Kultur bekannte. Moritz Türk war im England- und Amerikahandel federführend, Arnold Frank vertrat das größte Handelshaus am Orte, und Isaak D. Chalange war von 1918 bis 1932 sogar unbesoldeter Stadtrat (auf Foto unten 2. v.r.) von Annaberg (wie viele Mittel in das fast zeitgleich eröffnete Annaberger Theater auch von diesen Menschen flossen, gilt es noch herauszufinden. d. R.). Jüdischer Friedhof (Andere)

Ein Verein für jüdische Literatur und Geschichte wurde ebenfalls in Leben gerufen. Ein gedeihliches und friedliches Neben- und Miteinander herrschte vor, sicherlich nicht frei von deutsch-nationalen und auch antisemitischem Neid. Das „Tageblatt Annaberger Wochenblatt“ war mindestens ab 1933 federführend gegen die jüdischen Mitbürger in Annaberg, dessen Religionsgemeinschaft nicht nur sofort verboten ward, sondern auch allen Bürgerrechten ledig. Bis 1938 verließen 41 Juden die Stadt, nur einigen gelang die Flucht ins Ausland. Wie im ganzen deutschen Reich, wüteten auch bei uns Nazipogrome, insbesondere auf dem jüdischen Friedhof, der zerstört wurde, obwohl seit dessen Gründung nur 31 Beisetzungen dort stattfanden. Viele Schicksale liegen noch im Dunkeln. Bekannt ist aber, dass Max und Lotte Nordon nach Auschwitz deportiert wurden und dort umkamen. Bürgermeister Proksch erklärte, dass der Stadtrat beschlossen habe, dem Gedenken an diese Bürger mehr Aufmerksamkeit zu widmen, z.B. mit „Stolpersteinen“, die wie in anderen Städten auch, die Erinnerung wach halten sollen. Grabsteine 2

Der Gedenkveranstaltung voran ging am 12.5. um 9.30 Uhr im Jüdischen Ehrenhain auf dem Neuen Friedhof die Übergabe zweier Grabsteine von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Annaberg durch den Rabbiner Jakov Persovski aus Chemnitz, der auch die Segnung vornahm. Bürgermeister Proksch betonte, dass „nie wieder solche Verbrechen zugelassen werden dürfen und dass auch mit dem ´Marsch des Gedenkens´ am 8. Mai 2015 an das Ende der Todesmärsche von KZ-Häftlingen am 8. Mai 1945 Zeichen gesetzt wurden”.
Mit Bewegung berichtete er wie auch heute noch zu viele Menschen nur hinter den Gardinen diese Aktivitäten verfolgten, und dass sogar Unmut Kund getan wurde, weil zeitweise der Verkehr wegen diese Gedenkmarsches eingeschränkt werden musste!
Trotzdem könne wir 70 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes und 50 Jahre nach der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel heute von einer freundschaftlichen Atmosphäre ausgehen, von einem gewachsenem Interesse an der reichen jüdischen Kultur und Geschichte in Annaberg, wozu  auch das Buch von Adolf Diamant „Juden in Annaberg“  beigetragen habe. Zeugnis davon legte der volle Saal im Erzhammer auch davon ab mit Schulklassen u.a. des Evangelischen Gymnasiums, Vertretern christlicher Kirchen und Gemeinschaften, Stadträten und vielen Bürgern, die anwesend waren.
Der Chor der Jüdischen Gemeinde Chemnitz „Schir Semer“ trug mit alten und neuem jüdischen Liedwerk zur einfühlsamen Atmosphäre der gelungenen Veranstaltung genauso bei wie das Flöten-Klavier-Duo und die „Mondscheinsonate“ von Schülern des Evangelischen Gymnasiums.
Herr Gurevich, der Vorsitzendes des Jüdischen Gemeinderates von Chemnitz, traf mit seinen kurz gehaltenen Worten den Punkt: Die Erinnerung an die Annaberger Juden würde durch viele gesellschaftlichen Kräfte hier wach gehalten und kein Platz dürfe mehr sein für Intoleranz und Antisemitismus in Annaberg-Buchholz und anderswo!
Bergprediger Pfarrer Karsten Loderstädt von der Evangelisch-Lutherischen Kirche St. Annen nahm auf ein Wort von Martin Buber bezug, dessen Todestag sich zum 50. Male jährt:Stadrat Chanange
„Der Mensch wird am Du zum Ich!“ Alle müssten andere Menschen mehr wahrnehmen, die anderen gelten lassen und annehmen! Heute seien Juden und Christen vereint im Glauben an Gott, aber „Gott will keine Religionen, sondern ein Menschenvolk!“ (Buber). Pfarrer Karsten Loderstädt übermittelte die Grüße der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde und gemahnte an „Wertschätzende Toleranz im gemeinschaftlichen Leben“.
Außerordentlich konzentriert und faktenreich schloss sich der Vortrag des Historikers Dr. Jürgen Nitsch zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde Annaberg an. Neben vielen Verweisen auf die o. g. Publikation von Adolf Diamant nannte er neuere Erkenntnisse. So die Motive der Gemeindegründung, die „die rituellen Anforderungen, den Religionsunterricht, die gemeinsamen Andachten und die Beerdigungsfürsorge“ sowie Wohltätigkeit gegen Bedürftige organisiert wissen wollte. Zu den Gründungsaktivisten gehörten neben Isaak D. Chalange, dem das Statut 1890 bestätigt wurde, Karl Fleischmann, Leopold Jacoby, Emil Mendel, Moritz Türk und Hermann Rosenthal, - alle mit dem Posamentenhandel und der -herstellung verbunden. Als Rabbiner und Religionslehrer kam Isidor Popper nach Annaberg. Erst seit 20.1.1901 gab es einen jüdischen Friedhof. Die letzte Beisetzung war der Nachkomme der Chalange-Familie, Heinrich Felix Chalanche, der sich 1938 das Leben nahm, um seine nichtjüdische Ehefrau und seinen Sohn vor Verfolgung zu schützen. Am 9.11.1938 wurde der Friedhof von der 44. SA- Standarte in die Luft gejagt, eingeebnet und ein Beerdigungsverbot verhängt.annaberger-juden108_v-standardBig_zc-3ad1f7a1
Bis 1940 war ein „Bevollmächtigter für die Juden“ eingesetzt, der selbst bereits vorher konvertiert war. So kurz die Ausführungen des Historikers Nitsch waren, so zeigten sie doch die reiche Hinterlassenschaft an Menschen und Menschlichkeit, die für unsere Stadt gewirkt haben.
Eine Schülerin des Adam-Ries-Bildungszentrums berichtete über den tiefen Eindruck, den der Besuch des KZ Buchenwald, die Bildungsinhalte im Religions- und Ethikunterricht über diese Thematik bei den Schülern hinterlassen habe. Die Aktion „Stolpersteine“ werde unterstützt und die Einbindung von Schülern in die Nachforschungen über jüdische Bürger wäre der Verbreitung von mehr Wissen über Zeit und Zusammenhänge förderlich. Sie regte an, das Buch „Juden in Annaberg“, das leider vergriffen ist, doch rasch wieder aufzulegen.
Der Chor sang am Schluss Brautlieder, die die wunderbare Intensität zwischen Leben und Glauben in der jüdischer Tradition widerspiegelte. Bei einem kleine Buffet schlossen sich Kennenlernen und aufschlussreiche Gespräche mit jüdischen Bürgern aus Chemnitz an.

Eveline Figura

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