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Rezension
Selbstbewusste Annaberger Patrizierin

Eine weitere Publikation zeichnet ein kenntnisreiches Kaleidoskop über die Unternehmerin Barbara Uthmann
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Wer heute fragt, was der ganze Festtagsrummel um den 500. Geburtstag von Barbara Uthmann am Wochenende vom 22.-24. August 2014 in Annaberg-Buchholz sollte, kann zum Buch von Bernd Lahl greifen. Festtage sind Kristallisationspunkte des Erinnerns, neben den Vergnügungen wie historischer Markt mit szenischen Darstellungen, Festakten, Musik, Speis und Trank, Spaß und Freud. Genau das hat der Autor in seinem eben erschienen Buch „Barbara Uthmann, ihr Leben, ihre Stadt und ihre Zeit“ getan.
In die reichliche Fülle vorhandener Uthmann-Bücher hinein hat er nicht schlechthin ein weiteres produziert, sondern die Geschichten, Romane, Kuriositätenerfindungen auf die Plätze verwiesen. Das gelang ihm dadurch, dass er akribisch zusammengetragen hat, was es bis heute nachweislich zum Thema zu sagen gibt, und zwar weit mehr als es die Untertitel vermuten lassen.
Über unsere Annaberger nahezu „Heiligen“ Barbara selbst hat er kaum Neues finden können, außer vielleicht für die Richtigstellung ihrer Kinderzahl anhand der ebenfalls gerade publizierten Übersetzung des für die Uthmann verfassten Trauergedichts von Sebastian Leonharts (Autor: Reinart Unger, Übersetzung: Christian Zemmrich). Barbara Uthmann
Auch ein authentisches Bild von ihr ließ sich nicht finden. Das allein zeigt, welchen Stellenwert selbst herausgehobene Frauenzimmer in der Renaissancezeit hatten. Oder sollten Gemälde vielleicht in den Stadtbränden (z.B.: 1604) verlorengegangen sein? Immerhin hat der Autor den Mut zu Vermutungen und lässt den Schumannschen Epitaph von Anthonius Heusler sprechen, auf dem Spitzen geschmückte Frauen zu sehen sind und sich unter ihnen unsere Barbara vermuten lässt. Doch das sind Äußerlichkeiten. In Wirklichkeit hat Bernd Lahl durch seinen sammelnden, systematisierenden und verbindenen Blick auf Zeit und Umstände das Bild einer gewachsenen aktiven, selbst- und verantwortungsbewussten Patrizierin gezeichnet, die nicht nur zusammen mit Mann, Söhnen, Schwestern und Töchtern maßgeblich an Erhalt und Mehrung ihres großen Besitzes beteiligt war, sondern Kreatürliches in den notwendigen Strukturwandel der Wirtschaftsfelder einbrachte.
So weiß man heute, dass Barbara Uthmann als Tuch-, Borten- und Spitzenverlegerin zeitweise nicht nur nahezu 900 Mitarbeiterinnen - darunter auch Männer im Nebenjob oder arbeitslos gewordene Bergleute - in Heimarbeit beschäftigte, sondern sie sicher Einfluss auf den Gestaltwert, die Qualität, den kommunizierenden Vertrieb (heute: Marketing und Management) hatte, Entlohnung und Anschubfinanzierungen organisierte. Ihr Reichtum war Voraussetzung für die ihr nachgesagte Wohltätigkeit, die vom Gemeinwesen erwartet und argwöhnisch registriert wurde.
Informativ schildert der Autor das „Große Berggeschrey“ um die Silberfunde, die Annaberger Stadtgründung durch Herzog Georg von Sachsen, das damals überbordende Baugeschehen in und um die Stadt, das Nebeneinander von moderner Stadtentwicklung und Fundgruben in ihr, an denen die Eltern und der Ehemann als Eigentümer, Stadt- und Hofbeamte maßgeblich beteiligt waren. Das Klima muss ansteckend gewesen sein, konnten doch auch Kleinschürfer durch „Glück“ und Tat zu Wohlstand gelangen. Als junge Witwe hatte Barbara nicht nur für eine große Familie zu sorgen, sondern übernahm federführend, direkt mit dem Kurfürsten verhandelnd, auch die Saigerhütte in Grünthal sowie Privilegien des Kupferhandels und die Sozialgesetzgebung für die Mitarbeiter (nicht erwähnt wird im Buch, dass seit 1426 bereits in Freiberg und 1479 die Schneeberger Knappschaft – die Voraussetzung für unser heutiges Krankenkassensystem - bestand). images[4] (2)
Ihre Söhne kümmerten sich um Technologieentwicklung sicher mehr als sie, Anweisungen erteilend im Direktkontakt zu den Mitarbeitern. Trotz Vormundschaft durch Ratsmitglieder agierte die Uthmannin weitgehend selbstbestimmt. Sie galt als wohl „reichste Frau Annabergs“. Das ist jedoch als Wertung ihres Erfolgs zu wenig, ebenso wie der im Buch benutzte Bürger-Begriff das Patriziertum in der Ständetheorie auch in Annaberg zu wenig widerspiegelt. Die Patrizier waren ein durch Besitz, Personalunion mit Machtstrukturen und räumlich-gegenständliche Beweglichkeit abgehobenen Schicht des dritten Standes. Das klingt bei Lahl in den Fakten an, belegt durch Kontakte zum kurfürstlichen Haus, z.B. Wildlieferungen von da zu den Hochzeiten der Kinder oder Besitzmarken. Sicher wird sich eine Barbara Uthmann um die Entwicklung ihrer Kinder intensiv gekümmert haben, hatte sie doch ein Heer von Dienstboten, um Haushalt und Betreuung angemessen zu gestalten. Ähnlich wie die umfängliche Haushaltsführung einer Katharina von Bora bei Luther beinhaltete die Rolle der Hausherrin vorrangig Organisations- und Repräsentationspflichten. Das alles schmälert in keiner Weise das Uthmannin-Bild, sondern setzt sie ins rechte Licht. Dazu trägt auch bei, dass Barbara Uthmanns Wirken zwar an der sächsischen und deutschen Borten/Spitzen-Produktion großen Anteil hatte, dies im europäischen Vergleich aber kaum eine Rolle spielte.
Im Buch sind die detaillierten, fachkundigen und Quellen gestützten Darstellungen des Bergbaugeschehen (zu ausladend und zu fachspezifisch) in und um Annaberg, die Belastungen von Pest-Zeiten, Klimaveränderungen und Naturkatastrophen, die sicher dem Volke Not und Elend, den Uthmanns vermehrte Sorgen und geschäftliche Einbrüche brachten, gut dargestellt. Manchmal fehlen im Werk ein paar Relationen zur  Verdeutlichung von Größenverhältnissen. So sind Einwohnerzahlen von Annaberg zum Höhepunkt des Berggeschreys wichtig. Schließlich war damals Annaberg eine der größten Städte in Deutschland. Die Zahl der Pesttoten wird mit 
ca. 2.000 angegeben, das entsprach der damaligen Einwohnerzahl von Dresden, - der Residenzhauptstadt!
Allein die St. Annenkirche, der Klosterneubau und die Bergkirche konzentrierten für Jahrzehnte die  besten bildenden Künstler Deutschlands in dieser Stadt, die sich gegenseitig beeinflussten und protegierten sowie weitervermittelten. Auf den berühmten Bergaltar von Hans Hesse verweist der Autor zurecht, auf dem Arbeit, sogar eine arbeitende Frau (!), Bergbautechnologie und ein Gehenkter zu sehen sind. Der Heilige Wolfgang ist genauso groß dargestellt wie der Bergmann. „Reformatorisches Gedankengut“, ja, aber auch Beginn von Renaissance, Humanismus und Frühaufklärung, wo der Mensch in den Mittelpunkt der Schöpfung, ja selbst zum Schöpfer wird. Auch im Buch weniger ausgesprochen als angedeutet: Das Franziskanerkloster war noch lange nach Einführung der Reformation und dem Verschwinden der Mönche kurfürstliche Residenz mit zu vermutenden Prachträumen.
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Zum Thema Posamenten- und Bortenindustrie, Klöppeln in unseren heutigen Zeiten hat der Autor ein eigenes Kapitel angehängt. Gute Grundlage dafür war das im vergangenen Jahr erschienene und als Standardwerk geltende Buch
„Erzgebirgische Posamentenindustrie“ von Jörgen Martin.
Bernd Lahl setzt ins Bild, dass Klöppeln als eine Form des Bortenwirkens noch immer hierzulande tief verwurzelt ist und neue Formen, z.B. als Schmuck, entstehen.

Eveline Figura

Bernd Lahl (Mitarbeit: Ulrike Abraham, Matthias Zwarg):
„Barbara Uthmann - Ihr Leben, ihre Stadt und ihre Zeit“, Chemnitzer Verlag, 2014