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Annaberger Melange

Freundliche und kritische Bemerkungen über die Annaberger Kaffeehaus-Kultur

Nicht nur Wien, Prag oder Budapest verfügen über Kaffeehaus-Kulturen, auch Sachsen kultivierte diese Tradition. Sogar Annaberg verfügte einst über eine beachtliche Kaffeehaus-Kultur, die sich heute einer wechselhaften Fortsetzung erfreut. Ein Spaziergang durch das heutige Annaberg zeigt, wo es noch und wieder besuchenswerte Kaffeehäuser zu finden gibt. (Beitrag von 2011)


Eines der ältesten Kaffeehäuser Annabergs, das “Café Stolze”
auf der Großen Kirchgasse, steht seit Anfang 2014 zum Verkauf/Pacht.

Im Begriff der „Kaffeesachsen“ kommt die besondere Hinwendung zur braunen Brühe, dem Bliemch'ngaffee (weil er so dünn war, dass man die Blumenmuster am Tassengrund erkennen konnte; beim Meißner Porzellan waren es dann die Blauen Schwerter, daher „Schwerdergaffee“) oder dem Muggefukk noch heute zum Ausdruck. Und das, obwohl im Vergleich mit ganz Deutschland im Freistaat Sachsen am wenigsten Kaffee getrunken wird, nämlich nur knapp drei Tassen pro Tag und Person.

Schon 1694 wurde zur Leipziger Messe der Kaffee als Türkentrunk vorgestellt, und drei Jahre später ist die erste deutsche Kaffeehaus-Ordnung verabschiedet worden. Und in Dresden fertigte Johann Melchior Dinglinger für August den Starken das so genannte Goldene Kaffeezeug an. Ein Service, das aus Gold, Silber, Elfenbein, Email und über 5000 Diamanten besteht. Kaffeetrinken in den Kaffeehäusern wurde nun auch für die Bürger und Kaufleute zum Prestige. Im Leipziger „Coffebaum“ (heute ein hochpreisiges Touristen-Restaurant) traf man nicht nur Goethe dichtend an. Mit dem Ausruf „Ohne Gaffee gönn mer nich gämpfn!“ sollen die sächsischen Soldaten im Siebenjährigen Krieg an der Seite des Preußenkönigs sogar gestreikt haben. Erst nach Verabreichung von reichlich Kaffee und Kuchen ist die Kampf-Moral der „Kaffeesachsen“ wieder angestiegen.



Annaberg hatte mal eine Kaffeehaus-Kultur

      Auch die ehemals reiche Stadt Annaberg pflegte einst diese Kaffeehaus-Tradition in ihren Mauern oder außerhalb derselben in den Ausflugslokalen wie z.B. im Stadtpark Café (heute St. Anna-Pflegeheim), im Lindengarten (heute Neuapostolische Kirche), im Café Genselgarten (später Freimaurer Loge, Straße der Freundschaft, heute dem Verfall preisgegebene Villa - steht zur Auktion für 30.000 Euro Einstiegsgebot), im Bellevue, in Langs Restaurant oder zum Tanz-Kaffee im Waldschlössl.
Aber auch das Café Stolze mit Herrn Viertel als Oberkellner im Smoking und Frau Endt mit ihrer gestärkten weißen Schürze im Laden war so ein ehemaliges Kaffeehaus, dem man den alten Charme heute leider nicht mehr anspürt.
Die Honoratioren und gutbetuchten Geschäftsleute der Stadt – die gab es damals noch – versammelten sich alltäglich, noch vor den offiziellen Öffnungszeiten hier im Café, um ihr Scheelchen Heesn, Kännchen Braunen oder ein Gläschen Weißwein zu trinken, Geschäfte anzubahnen, über die kleingeistige Politik der Stadtväter zu spotten, oder die politische Großwetterlage zu erörtern. Besonders beliebt war damals die Wiener Melange, eine Mischung aus starkem Espresso, heißer Milch und einer Milchschaumgarnierung oder Schlagoberst, also Schlagsahne obenauf. Als Lehrling, der meist die Herrschaften mit frischen Wiener Krapfen, Schweden Apfeltorte oder einem mit Pudding gefüllten Eclair bedienen durfte, bekam man so manches Gespräch mit, war auf dem Laufenden und konnte außerhalb des Cafés altklug mitreden. 



Kaffee-Zentral wurde für Touristen zugerichtet 

      Oder nehmen wir das altehrwürdige Kaffee Zentral (wie es sich selbst in Werbeanzeigen in alten Zeitungen schrieb, und nicht wie heutzutage fälschlich als Cáfe Central bezeichnet wird): Im 1832 in der Johannisgasse eröffneten Kaffeehaus versammelten sich natürlich auch die Honoratioren und Geschäftsleute der Stadt, allerdings meist erst nach Laden- und Behördenschluss. In der übrigen Zeit wurde das spätere Jugendstil-Lokal von Damen-Kaffee-Kränzchen, Theater-Leuten oder Einzelkünstlern - wie etwa den Brüdern Rudolf und Heinrich Köselitz (Peter Gast) frequentiert. Letzterer schrieb hier ab 1910 seine Geschichten in Hochdeutsch, aber noch viel mehr Schnurren in erzgebirgischer Mundart, für deren Reinhaltung er sich nach der Rückkehr in seine Geburtsstadt Annaberg – auch in wilden Diskussionen im Kaffee Zentral – energisch einsetzte. Er komponierte hier Lieder, die in Annaberg noch keiner gehört hat - im Ausland sehr wohl. Und sein Bruder, der Maler, hat bei seinen Besuchen in Annaberg so manche Studie über „verhaune Typen“ hier bei einem Gläschen Tokajer seinem Zeichenblock anvertraut. Neulich konnte man Teile des alten, aber wieder aufgefrischten Mobiliars aus dem ehemaligen Kaffee Zentral im Großen Saal des Erzhammers besichtigen und auf den bequemen Stühlen an den ovalen Tischlein sitzen.

Vor etlichen Jahren wurde das alte Kaffeehaus – bis auf die Jugendstil-Decke im Verkaufsraum - total „entkernt“, um dann vor einem reichlichen Jahr hier ein Charme freies Allerwelts-Café einzurichten, das man nun „Schokoguschl“ nennt, weil man der Meinung war, dass Annaberg unbedingt eine Schokoladerie benötige. Heutzutage sind dort selten Einheimische anzutreffen. Die Kränzchen von einst gibt es nicht mehr, die Künstler suchen sich Orte mit mehr Atmosphäre – und Peter Gast muss das alles nicht mehr miterleben. Wer die „Manufaktur der Träume“ besucht, kommt im Anschluss kaum umhin, dann den Ausgang durch dieses Etablissement zu nehmen... Tages-Touristen bleiben dort schon mal hängen, und für die ist dann wohl auch das älteste Kaffeehaus der Stadt zu- oder besser hingerichtet worden.



Schöne Anna als Lichtblick

      Zu einem wirklich atmosphärisch glücklichen Ort und einem gastronomischen Lichtblick hat sich dagegen das Café „AnnaBella“ auf der Wolkensteiner Straße im ehemaligen Hotel Kronprinz entwickelt. Obwohl es sich eher als ein Tee-Haus mit unzähligen, kenntnisreich ausgewählten Sorten verstehen möchte, wird hier auch der beste Kaffee in der ganzen Stadt serviert, und der beste Tee sowieso. Und das in eleganten, verschiedenfarbigen, unterschiedlich geformten Keramik- oder Porzellangeschirr. Auch das sonstige Angebot ist sehr empfehlenswert: Preiswerte, nicht alltägliche Brunchs, Frühstücksangebote, Tee-Verkostungen, musikalische Veranstaltungen und ein wohltuender Service führten in den zwei Jahren seiner Existenz dazu, dass sich im „AnnaBella“ bereits eine Stammgemeinde gebildet hat – darunter auch solche, die früher vielleicht ins Kaffee Zentral gegangen wären. Die junge, freundliche Frauenschaft hat sich vorgenommen, das beste Kaffee- und Teehaus der Stadt zu werden. Vermutlich sind sie jetzt schon - und darüber hinaus...

Freundlich und unwirsch - aber nur bis 18 Uhr

      Das Ratsherren-Café an der Marktecke im ehemaligen Zeitler-Haus und das Gutguschl im Annaberger Bankenviertel am Markt, wie noch ein paar andere Kaffee-Stuben (auch das Schockoguschl) im weiteren Umfeld, gehören zur Firma Annaberger Backwaren und werden von dort verpachtet. Obwohl man im Ratsherren-Café kaum Ratsherren sichtet und im Gutguschl nur selten Genießer antrifft, werden beide Kaffee-Stuben gern angenommen. Allerdings sind die Qualitätsmerkmale zwischen beiden Lokalitäten ziemlich unterschiedlich: In der Ratsherren-Ecke schmeckt der Kaffee weitaus besser und wird freundlicher serviert, als bei den Gutguschn.

Auch das Kuchengebot ist in dem einen frischer und besser präsentiert, während im anderen mitunter auch ältere Ware über die Theke kommt und der Kaffee offensichtlich noch aus DDR-Zeiten stammt oder mit reichlich erzgebirgischem Quellwasser gestreckt wurde. In dem einen wird man prompt, freundlich und beratend bedient, wird die Zeitung gebracht und höflich auf die Schließzeit hingewiesen, falls man noch gegen 17.45 Uhr hier eine Bestellung aufgibt. Im Gutguschl sitzt man dagegen minutenlang (auch schon mal bis zu 20 min), bevor sich eine Kellnerin (möglichst noch mit schmutzigem Geschirr in der Hand) unwirsch nach den Wünschen des Gastes erkundigt. Alle beiden Kaffeehäuser haben nur bis 18 Uhr geöffnet, weil bekanntlich 18.10 Uhr in Annaberg die Bürgersteige hochzuklappen sind. Um darunter nicht eingequetscht zu werden, befleißigen sich die Damen vom Gutguschl meist schon ab 17.45 Uhr die Gäste zum Bezahlen zu drängen, um noch vor Ladenschluss den Tischen und Stühlen auf der Terrasse Ketten anzulegen; auch dann, wenn die Sonne im Sommer noch freundlich auf die sich hierher verirrten Touristen nieder scheint.

    


Im Stadt-Café auf der Wolkensteiner Straße schmeckt zwar der Kaffee und auch das Kuchenangebot kann sich sehen lassen, dafür dürfte die Ausstattung noch aus einer Zeit stammen, als es hier hauptsächlich die Kaffee-Marke Rondo zu trinken gab. Dieser Mangel wird aber durch den beherzten und freundliche Service wieder ausgeglichen. 

Ausländer zeigen, wie es funktionieren kann

      Wer die bekannten Eis-Cafés Jonjenz und Reuter noch aus früheren Tagen als schmackhafte Oasen kennt, der wird auch heutzutage nicht enttäuscht, obwohl sich beide Einrichtungen nicht mehr sehr dominant im Stadtbild finden lassen. Ganz anders dagegen das Eis-Café Cortina auf der Buchholzer Straße gegenüber vom Kino „Gloria Palast“. Die ausländische Mann- und Frauschaft, bestehend aus Italienern, Kroaten, Rumänen und Polen (manche nur als zeitweilige Aushilfskräfte), hat es geschafft, dem einst drögen Laden (ganz früher, vor vielen anderen Kaffeehausversuchen, war hier mal „Buch und Kunst“ untergebracht) wieder Leben einzuhauchen und sogar mit einem gewissen südlichem Flair auszustatten.

Hier schmeckt der Espresso, wie er schmecken muss. Die Eisauswahl ist vielfältig und die Portionen sind mitunter überdimensioniert. Mit einem freundlichen „Prego“ wird man hier auch dann noch bedient, wenn man mal etwas länger wegen eines Palavers des Personals an der Theke oder zu vieler Gästen auf der Terrasse warten muss und sich deshalb südländisch beschwert hat. Was selten vorkommt: Denn der Erzgebirger beschwert sich kaum. Zumindest nicht direkt, nicht unmittelbar gegenüber dem Kellner. Später, hintenherum, bei Bekannten und Freunden schon. Manchmal erst Tage später, in der Hoffnung, dass seine Kritik den Wirt erreichen möge – indirekt, möglichst anonym, versteht sich. Und er nimmt sich vor, das Kaffeehaus oder das Restaurant nie wieder zu betreten, wo ihm Derartiges widerfahren ist. Kommt man allerdings an den großen Scheiben der Annaberger Kaffee-Stuben vorbei, wen bekommt man zu Gesicht? Natürlich unseren Kritiker bei einer Tasse Muggefukk, denn ohne den kann auch der kritikempfindliche Annaberger Kaffeehauskrieger nicht richtig kämpfen... 

Ringsum hoffnungsvolle Anzeichen

Café  Anna, Café Melodie oder Café Real (in Buchholz) nennen sich solche Lokalitäten, die zwar den Kaffee im Namen tragen, aber dann doch gastronomisch noch etwas weiter ausholen.
So ist das „Anna“ auf der Großen Kirchgasse eigentlich ein richtiges Restaurant, in dem man auch Kaffee trinken kann. Das „Melodie“ hat mehr den Charakter einer Nachtbar und ist eine willkommene Einrichtung für die jüngere Generation am ansonsten schläfrigen Marktplatz. Und das „Real“ ist eine noch etwas Ambiente freie Bereicherung im Stadtteil Buchholz, das, ähnlich wie die Kaffeestuben in Wien und Budapest, kleine und mittelgroße Speisen anbietet und dazu reichlich Zeitungen - wie in echten Kaffeehäusern - ausgelegt hat.

Ob es nun allmählich wieder so etwas wie eine Kaffeehaus-Kultur in der Hauptstadt des Erzgebirges gibt, kann man durch diese kleine und unvollständige Melange aus verschiedenen Eindrücken, mehrfachen Verkostungen und etlichen kostspieligen Selbstversuchen noch nicht behaupten. Dass sich allerdings hoffnungsvolle Anzeichen regen, kann da und dort schon entdeckt und geschmeckt werden.

Und wenn die Annaberger, die Buchholzer und die Gäste der Stadt noch häufiger das Maul aufmachen würden, wenn ihnen etwas nicht schmeckt – und damit sind nicht nur Kaffee und Kuchen gemeint – dann hätten wir in dieser schönen, kulturvollen Stadt vielleicht auch bald neben einer Kultur der helfenden Kritik auch wieder eine richtige,
d.h. eine geschmackvolle Kaffeehaus-Kultur - vielleicht auch eine Kultur außerhalb davon -  mit anspruchsvollen erzgebirgischen „Kaffeesachsen“ mitten drinnen. Vielleicht...!?

Gotthard B. Schicker 
November, 2011

 

 

 

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