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    Samiel, hilf!

    (13.1.2013) Die Enthusiasten der Oper hatten sich auf den Premieren-Abend vom „Freischütz“ lange gefreut, doch die Erwartungen wurden nur punktuell erfüllt. Carl Maria von Webers ’Unsterblicher Lebenshauch’, wurde in Annaberg mit zu viel Respekt vor der historischen Konvention inszeniert.

    Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz” ist die selbstbewusste und kenntnisreiche Abkehr vom übermächtigen italienischen Musikdrama seit der Uraufführung 1821 am Königlichen Schauspielhaus in Berlin und gilt seither als erste deutsche Nationaloper, da „seit Mozart nichts Bedeutenderes für die deutsche Oper geschrieben wurde als Beethovens ’Fidelio’ und dieser ’Freischütz’ ” (E. T. A. Hoffmann, 26. Juni 1821). Das Libretto von Friedrich Kind, stark in der Poesie der Liedtexte und Schlüssigkeit der Dialoge, weniger in der moralischen Betulichkeit der Handlung, sind indes nicht zu trennen und so „befreundet sich” in der nachnapoleonischen Zeit „die jüngst noch so zarte, nervenschwache Muse mit dem Satan, der Hölle…”. Und tatsächlich bedurfte es in der damaligen Gesellschaft schon starken Tobaks, sprich Teufelskerle, die sich reaktionär verfestigenden Verhältnisse am „Tanzen” zu halten, den gesamtdeutschen Willen der Freiheitskriege nicht wieder in die hunderte territorialen deutschen Försterstuben versanden zu lassen.
    Insofern ist der „Freischütz” ein Tanz auf dem Vulkan und auf der Nase der Zensur zum Erhalt der Aufbruchstimmung. So schrieb denn auch der Theatergenius Berlins, E. T. A. Hoffmann, anlässlich der Uraufführung: „Man will nicht ergriffen, nicht gerührt, man will gepackt, geschüttelt werden, es soll sich das Haar sträuben, der Odem stocken…”. Und das soll heutzutage eine Inszenierung leisten angesichts von täglich konsumierten TV-Horrorszenarien und Monsterspielwelten von Kindesbeinen des Publikums an? Unmöglich! Deshalb war der Regisseur Ingolf Huhn wohl auch im Historischen verhaftet geblieben, seine bereits an anderen Theater in den Grundzügen bewährte Inszenierung in der Zeit der Romantik zu belassen und nur an Kulminationspunkten aufzubrechen.

    Nahezu die gesamte Intension der Oper ist in Webers Ouvertüre musikalisch vorgegeben, und deshalb hat diese auch in den Konzertsälen eigenständig Berühmtheit erlangt. Aus dem Orchestergraben erklangen am Sonntag die bekannten Motive, allerdings vieles zu breit, zu behäbig angelegt. Auch ging es nicht ohne Irritationen bei den Bläsern ab, und den Jägerklängen hätte durchaus etwas mehr Temperament anhaften dürfen.

    Auf der Bühne dann gelang in den Eingangschören der Mädchen, wo Weber mit Mut, Sekunden-Intervalle in der „He, he, he”-Provokation und Engstirnigkeit komponiert hatte, dies war zu gestalten und das kräftige „Viktoria” des Männerchores sichtbar und hörbar zu machen. Max wird verlacht wegen seiner Fehlschüssen, und das taktgenau. Der reiche Bauer Kilian (Markus Sandmann) in gewohnter Frische und Übermütigkeit war der Aufgabe stimmlich und gestalterisch gewachsen. Da schien gleich am Anfang hoffnungsvoll etwas Musik-Theater auf, was aber im weiteren nicht durchgängig eingelöst wurde. Frank Ungers (Foto rechts mit Bettina Grothkopf) Auftrittsarien als Max strahlten in der Höhe und standen im schönen Gegensatz zu seiner überzeugenden Niedergeschlagenheit mitten im dunklen deutschen Wald. Was hier rührend war, blieb in seinem Wolfsschluchtauftritt stummfilmhaft statisch, zwar gut beleuchtet, aber wunderlich leise. Alle Darsteller waren dort in der gruselig gedachten Schlüsselszene irgendwie nur ab Taille aufwärts zu sehen oder von Hutkrempen verdeckt. Der halbe Kaspar dann in der wunderlichen Feuergrube (Bühnenversenkung) eingeschränkt agierend, die spukenden Schattengestalten im Hintergrund hinter einem Hohlweg lauernd. Samiel, der Teufel, schwebte als rot bedresste, verführerische Frauengestalt mit Männerstimme durch die Wolfsschlucht. Er hinkte ansonsten als Kriegsinvalide durch die Handlung (Rebekka Simon).
    Der erste Jägerbursche Kaspar goss wirklich die Freikugeln und spielte das Gruseln, aber richtiger Theaterdonner im Sinne Carl Maria Webers „Rezept für ein Drama“ blieb leider aus. Darstellerisch überzeugend, sängerisch mit voluminöser Klangkraft und guter Textverständlichkeit war László Varga als Kaspar (Foto unten mit Ensemble) die durchgängig überzeugende Gestalt. Gelang es ihm doch, ohne Masken-Schnickschnack einen durch Krieg und Ausgrenzung gebrochene Person in Szene zu setzen. Besonders gelungen der mutige Regiegriff, den Eremiten am Ende der Handlung nicht als heere Lichtgestalt moralisieren zu lassen, sondern aus Kaspars Sterben, quasi aus dem Bösen das inhärent Gute, zu entwickeln. Nicht alle Zuschauer werden bei dieser Schlusssequenz mitgekommen sein, weil auch im ansonsten informativen Programmheft leider nichts über die Auflösung steht und der Eremit als solcher aus der Darstellerliste entfernt wurde. Es ist damit aber ein menschliches Ende gefunden worden, nachvollziehbar und bedauernswert. Als Figur ist Kaspar der einzige, der aufbegehrt und – deshalb – scheitert...
    Die Duldsamkeit der Agathe (Bettina Grothkopf) im unvorteilhaften, hellblauen, zugeknöpften Flanellkleid und mächtigem Blondhaar drapiert, imponierte mit klangvollen Pianos, schöner, ausdrucksstarker, strahlender Höhe, doch auch mit etwas (Regie bedingter) Atemlosigkeit in einigen Registerläufen. Endlich wurde auch im Terzett mit Max und Ännchen (Madelaine Vogt) Agathe zur selbstbewussten Frau, die ihre Liebesinteressen verteidigt. Das Ännchen ward anrührend gesungen, manchmal etwas verhaspelt gesprochen und neckisch-bewegt, in hübscher Ausstaffierung gegeben. Die Regie erlaubte ihr in prüder Zeit sogar kleine Flirts mit Max und Ottokar, dem Fürsten! Der als Gast mit angenehmen Bariton (Gonzalo Simonetti, ein Chilene aus Erfurt) die entgeisterte Gesellschaft zum versöhnlichen Ende organisierte.
    Leander de Marel als fürstlicher Erbförster Kuno gelang es einmal mehr, auch dieser Gestalt ihren Charakter zu verleihen. Bei ihm und Markus Sandmann saßen sogar die Perücken und Ofenrohrzylinder einigermaßen ansehnlich. Von den zwei Schlagern des Abends sei noch gesprochen: Dem Jungfernkranz-Lied der Brautjungfern und dem Jägerchor. Das erste ward in den Strophen sehr Natur treu gesungen, denn nur weil eine eine Jungfer ist, muss sie nicht unbedingt schön singen können. Als Chorklang waren alle zusammen reizend – aber eben nur zusammen. Der Männerchor war mit Extrachor wohltönend verstärkt. Und die Försterstube barst – insbesondere als darin auch noch geschossen wurde.
    Beide Chöre hatten Applaus verdient, aber es fehlte an dem Moment aus dem Orchestergraben, den man nicht komponierte Generalpause nennt, die man erfühlen muss, damit die musikalische Spannung das Publikum zum Jubel verleiten kann. So aber blieben beide Zugstücke der Opernliteratur am Premierenabend Applausfrei!

    Die Ausstattung war in den Händen von Wolfgang Clausnitzer, der wirklich a l l e Bäume im deutschen Wald richtig platziert und die Geweihe an den Wänden der Förster-Hutzenstube symmetrisch hat anbringen lassen. Die Uniformen der Jäger grün, das Brautkleid weiß, manch blonde Locke einfach zu viel – und die Wolfsschlucht-Szene einfach blass!

    Der Abend war eine große Aufgabe für das Ensemble, dem man in der Premiere manch fehlende Übereinstimmung von Bühne und Orchester (am Pult GMD Naoshi Takahashi) anmerkte. Doch sollte man sich getrost die herrliche Musik vielleicht bei einer weiteren Vorstellung, wenn sich manches gesetzt hat, das Premierenfieber nicht vorhanden ist und eventuell noch ein paar Nachbesserungen umgesetzt wurden, noch einmal gönnen.
    Wie allerdings junge Leute, deren Schulstoff der „Freischütz” ist, sich zu dieser Inszenierung verhalten werden, bleibt abzuwarten.

    Eveline Figura

    Fotos: Dieter Knoblauch/
    Winterstein-Theater, Annaberg

    Nächste Vorstellungen: 16.1, 20.1., 2.2., 17.2.2013

    Nachtrag zur 2. Vorstellung am 16. Januar 2013 um 19.30 Uhr: 

    Wegen der Erkrankung des Bassisten László Varga, der in der Inszenierung die Partie des Kaspar singt und spielt, gastierte kurzfristig Elmar Andree von der Staatsoperette Dresden. Sein elegant geführter Bass, der ein paar Probleme in der Tiefe aufweist und in der Höhe der zweiten Arie (“Triumph, die Rache gelingt”) etwas zu roh daher kam, meisterte die Rolle und insbesondere auch die reichlich vorhandenen Dialoge sehr anständig. Die Partie des Eremiten, die in der Inszenierung von Ingolf Huhn mit der des Kaspar im letzten Bild verschmilzt, wurde kurzfristig von Max Lemeck übernommen, der die voluminösen Töne aus der Orchesterwanne sang. Frank Unger, der vom Intendanten vor Beginn der Vorstellung als indisponiert angesagt wurde, strahlte in der Höhe noch sicherer als in der Premiere. Hier taucht dann die uralte und etwas verschmitzt gestellte Theaterfrage auf: “Wie mag der Kerl erst singen, wenn er nicht erkältet ist...?” Auch die Ouvertüre kam diesmal ohne klangliche Ausrutscher aus und wurde etwas “beschwingter” interpretiert als am Premierenabend.
    Das ausverkaufte Haus dankte mit herzlichem Zwischen- und Schlussapplaus. 
    (G.B.S.)

 

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