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Liebe in Zeiten der Kälte

Hans Falladas „Kleiner Mann - was nun?”  im Annaberger Eduard-von-Winterstein-Theater erhält das Prädikat „wertvoll“ und wird insbesondere der Schuljugend und der Lehrerschaft empfohlen.

„Kleiner Mann - ganz großartig“ kann man das Stück nach dem berühmten Fallada-Roman von 1932 heute bezeichnen, dessen Inszenierung am 12. Februar am Annaberger Winterstein-Theaters Premiere hatte. Deshalb ist es auch nicht zufällig, dass es am Theater Freiberg auf dem Spielplan steht, was wohl mehr an der brennenden Aktualität des Stoffs als an einer kaum abgestimmten Spielplanpolitik liegen dürfte.

14. Feb. 2012

Die Regisseurin Tamara Korber hat die Geschichte von Herrn Pinneberg und seinem Lämmchen, die durch ihre reine Liebe die Menschen vernichtende Ausbeutung in Zeiten von Wirtschaftskrisen und Demoralisierung im Großstadtdschungel gerade noch überstehen konnten, verständlich, anrührend und mit deftigem Sarkasmus in Szene gesetzt. Das Schauspielensemble hatte denn auch reichlich zu tun: manche der Protagonisten agierten in bis zu sechs extremen Rollen, die meist verständlich interpretiert und spielerisch gut bewältigt wurden. Manches blieb aber auch in Andeutungen stecken oder kam laienhaft flach über die Bühne.

Fotos: Annaberger Theater (c) Dieter Knoblauch

Augenfällig belebt und illustriert wurde die Großstadtszenerie, in ihr die individuelle Vereinzelung, Versuchungen und schließliche Vernichtung von Menschlichkeit durch pantomimisch-tänzerische Ausdrucksmittel der Protagonisten dargestellt werden, die in wiederholender Rhythmik an die Stadtkritik der „Metropolis”-Filmbilder erinnern. Somit beschreiben sie als lebende Kulisse das Aktionsfeld der Hauptdarsteller (Choreographie Sonja Elstermann).

Das Lämmchen (Helene Aderhold-Goos) ist die reizende blonde Naive, die mit ihrem praktischen Lebenssinn, nicht zu erschütternder Liebe das durch Arbeitslosigkeit, Hunger, Drogen, Prostitution und aufkeimenden Rassenwahn extrem bedrohte Leben scheinbar im Blindflug meistert. Ein Typ Frau, der bis heute und hier jedem Mann behütend unter die lebensunfähigen Arme greift und diesem selbst die Angst vor schreiendem Nachwuchs nimmt.

Die Aderhold ist quirlig, ohne Überdrehtheit, lieblich ohne verkitschte Sentimentalität. Ihre Stärke besteht in klarer Artikulation. Sie argumentiert ihre Liebe und überzeugt somit sogar einen Mann. Selbst den Zuhälter-Partner ihrer Schwiegermutter „zähmt” sie in die Schranken. Alles Schlechte prallt an ihr ab. Somit ist es „ihr” Pinneberg, der durch die Katastrophen des Arbeitsmarktes taumelt. Mathias Renneisen ist in dieser Haupt-Figur der oft allzu gerade Gatte. Er spielt ihn auch als den anständigen Kollegen, den intelligenten Verkäufer im Modehaus Mandel. Großartig hier die Verkaufsszene mit Nenad Žanić als verstockt-verdrehter, von Weibern getriebener Kunde und auch als „menschelnder Zuhälter” - und das alles in wirkungsvoller Sprechkultur.

Pinnebergs Unentschlossenheit, seine Anständigkeit, sein Sich-Heraushalten schützt ihn nicht vor dem Abstieg. Die Charakterrollen werden jedoch von anderen gespielt: Zuförderst Udo Prucha als pedantischer Schickanierer Kleinholz, Doktor, Puttbreese oder Spannfuß. Prucha gibt jeder Rolle ihre Charakteristik und er kann wirklich noch an der richtigen Stelle extemporieren, begründet, verständlich - sowohl laut als auch leise! Gleiches, aber in ganz anderer Gestalt, gilt für die komischste Gestik, vor allem für die feinfühligen Dialoge der Gabriele Kümmerling als jüdische Vertreterin. Sehr anrührend ihr kurzer Monolog zum Antisemitismus.

Endlich scheint auch bei Dennis Pfuhl in der Figur des Heilbutt eine Darstellungskunst durch. In den anderen Rollen überlagert zu oft kopierte Slapstick die Charakterzeichnung. Mehr gestische Ruhe gibt schließlich auch der Komik und dem Wort tieferen Nachdruck.

Tim Osten war in allen fünf Rollen ein verlässlicher Darsteller und blieb insbesondere in der kleinsten als Murkel im Gedächtnis. Maria Richter ist offensichtlich die Wandlungsfähigste unter den wirkungsvollen Zickenrollen des Stücks. Ihre mannstolle Kleinholz erhielt jedoch noch mehr Substanz bezüglich der Rolle innewohnenden Tragik, wenn die Textverständlichkeit an manchen Stellen prägnanter wäre. Die Mia Pinneberg der Marie-Luise von Gottberg gewann gerade dadurch ihre Differenzierung in den verschiedenen Situationen. Enorm grass in der Darstellung auch ihre zweite Dame bei Mandel.

Bei Fallada ist die Suche nach Menschlichkeit sichtbar links gerichtet. Sein Blick auf den kaum schon (stalinistisch) verhunzten Kommunismus gelingt verständlich und undenunzierend. Die Suche nach alternativen Lebensformen der „Wandervögel”, individuelle Flucht in die Drogen oder die Welt der „Nudisten” scheint auf. Die drei Nackten auf der Annaberger Bühne bringen das begründet umgesetzt über die Rampe, damit aber auch gleichzeitig die Verletzlichkeit dieser Theorien und Praktiken gegenüber der aufkeimenden Brutalität der Epoche. Die Ausstattung (Annabel von Berlichingen) ist sparsam, bewegungsorientiert und sinnvolle-spielerisch-leicht die Requisiten. Der Inszenierung gelang es, die Aktualität Hans Falladas in agile Szene zu setzen. Einige Reserven schlummerten aber noch in einer ruhigeren Figurenzeichnung und dramatischeren Textgestaltung (wie z.B. Monologe des Pinneberg und des Lämmchen).

Das Programmheft (Silvia Giese) strotzt zwar äußerlich vor Einfaltslosigkeit, rehabilitiert sich aber durch gescheite Inhalte, die den Theaterbesucher über Falladas Text hinaus mit in dessen Zeit nehmen, die mit unserer scheinbar durch nichts und doch mit so Vielem vergleichbar ist. Hier finden sich Fallada Texte zum Nachlesen, seine Vita, Brecht-Gedicht und aktuelle Informationen zum Thema Arbeitslosigkeit im heutigen Deutschland. Um den Wert eines solchen Programmheftes, auch für auswärtige Besucher oder Sammler zu steigern, wäre es angebracht, Hausadresse, Mail- und Hompage-Adresse sowie Telefonnummern des Theaters darin mit zu veröffentlichen.

Der Annaberger Inszenierung kann durchaus das Prädikat „wertvoll“ gegeben und für die Schuljugend und die Lehrerschaft wärmstens empfohlen werden.

Eveline Figura

Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz

09456 Annaberg-Buchholz, Buchholzer Str. 67,
Tel.: 03733/1407-131,
www.winterstein-theater.de

Nächste Vorstellungen: 15./19.Februar.; 4./13/.15/.17./25.März 2012.

 

 

 

 

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