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Erfolgreicher „Götz“
Opernausgrabungen lohnen sich,
wie Annabergs jüngste Premiere belegt

Am 29. April hatte am Annaberger Winterstein-Theater Carl Goldmarks Oper „Götz von Berlichingen“ ihre sehr erfolgreiche Premiere. Weltweit ist diese Oper – zu Unrecht – derzeit nur in Annaberg auf dem Spielplan. Der Publizist und Musikrezensent von MDR Figaro, Boris Michael Gruhl, hat uns dazu eine Gast-Rezension zur Veröffentlichung zugesandt:


Was man doch alles nicht kennt…-346_Götz

Carl Goldmarks Oper „Götz von Berlichingen“ in Annaberg-Buchholz

Es dürfte eines der kleinsten Theater in Deutschland sein, das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz. Hier gab es eine bemerkenswerte Opernpremiere.
Ein vergessenes Werk, „Götz von Berlichingen“, des österreichisch-ungarischen Komponisten jüdischer Herkunft Carl Goldmark wurde ausgegraben. Die Mühen haben sich gelohnt. Goldmark (1830 bis 1915) war zu Lebzeiten einer der bekanntesten und beliebtesten Komponisten. Mit seiner ersten Oper „Die Königin von Saba“, 1871 in Wien uraufgeführt, wurde er schlagartig berühmt. 
„Götz von Berlichingen“, 1902 in Budapest uraufgeführt, war ebenfalls ein großer Erfolg. Von der deutschen Erstaufführung, im Februar 1903 in Frankfurt am Main, brachte sogar die New York Times eine Meldung. Mehr als 40 mal wurde der Komponist vom begeisterten Publikum auf die Bühne gerufen.
Goldmark teilt das Schicksal vieler Komponisten jüdischer Herkunft, seine Werke wurden von den Nazis verboten, sie gerieten in Vergessenheit. Inzwischen wird die Oper „Die Königin von Saba“ wieder erfolgreich gespielt, Kammermusik und Orchesterwerke des Komponisten werden aufgeführt und immer ist man überrascht, was es zu entdecken gibt, was zu Unrecht vergessen ist.
Goldmarks Oper, frei nach Goethe, mit dem Text von Alfred Maria Willner, hat der Annaberger Intendant Ingolf Huhn inszeniert, NaoshiTakahashi steht am Pult der  Erzgebirge Philharmonie Aue. 
-532_GötzZunächst gespannte Stimmung am Premierenabend. Wann erlebt man das, ein Werk das keiner kennt, man kann es derzeit nur hier kennenlernen, im Sächsischen Erzgebirge, tief in der mitteldeutschen Provinz. 
Nachfahren derer von Berlichingens sind angereist. Im Foyer kann man die berühmte eiserne Hand des Ritters in naturgetreuer Nachbildung sehen. 
Und dann, wenn die Musik anhebt, wirklich die Überraschung. Bereits nach ersten Takten der Ouvertüre ist man angetan von Goldmarks Musik und hat den Eindruck, wahrhaft höchste Zeit, endlich mehr davon zu hören. Dazu erlebt man dieses mutige Ensemble, das im Verlauf des Abends mit den enormen Anforderungen regelrecht über sich hinaus wächst. 

Eine Oper nach Goethes Drama, die Bearbeitung ist recht frei. In ihren Grundzügen ist sie eine Übertragung auf die Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. Der Ritter Götz von Berlichingen ist aus der Zeit gefallen, er versteht sie nicht mehr. Seine edlen Ritterideale, Gottergebenheit und Kaisertreue gelten nicht mehr, Fürsten- und Vetternwirtschaft sind die neuen Zeichen der Zeit. Selbst Menschen, die er als enge Freunde ansieht, wechseln ihre Positionen.
Goldmarks Musik charakterisiert in Stationen oder Strophen nach Art einer großen romantischen Ballade wie der Mensch Götz von Berlichingen der Welt abhandenkommt und am Ende regelrecht verlischt. Das ist berührend und beeindruckend zugleich, und Parallelen zur Gegenwart lassen sich assoziieren. 
Die Handlung führt nach Franken, Bayern und Württemberg zu Beginn des 16. Jahrhunderts, Bauernkrieg, politische Wirren, Reformationsbestrebungen bestimmen die Zeit. 

Goldmanns Musik markiert eine spätere Übergangssituation. Noch klingt das 19. Jahrhundert nach, die Stile mischen sich und nach dem zarten Ausklang des großen Werkes lässt sich Neues ahnen. 
Wie Goldmark von der Wirkung Richard Wagners beeinflusst ist hört man. Man kann auch Passagen erkennen, die an den jungen Richard Strauss erinnern, Humperdincks romantische Klangopulenz ist auch vernehmbar und doch findet Goldmark zu ganz eigenen und eigenwilligen Wirkweisen. Das 20. Jahrhundert wird die neuen Töne bringen, Goldmark nimmt Abschied vom 19. Jahrhundert, sehr lyrisch zunächst, dann dramatisch auftrumpfend, am Ende verlöschend, so wie sich auch bei Goethe der sterbende Götz von allem löst.
Das kommt an in der Annaberger Aufführung, das kommt herüber, das ist ein  Verdienst des Orchesters und seines Dirigenten Naoshi Takahashi mit dem gesamten Ensemble. 
Die Bühne in der Ausstattung Annabel von Berlichingens, einer Nachfahrin des Ritters, ist ein Raum, der sich nach hinten verengt. Von außen ist er bemalt mit Landkarten als Symbole politischer Veränderungen. Das Innere ist Folterkammer mit den Stacheln der „Eisernen Jungfrau“, Bilder für die seelischen Empfindungen des Protagonisten. Ingolf Huhns Inszenierung verzichtet auf jede Art von Aktualisierung, die bleibt dem Publikum überlassen. Sie gestaltet sich in Abfolge von Bildern als Drama in Stationen, vergleichbar mit den Strophen eines Gedichtes, oder eben einer romantischen Ballade und korrespondiert so mit der musikalischen Form.
Gesanglich stellt das Werk enorme Anforderungen. Die Realisierung durch das Annaberger Hausensemble verdient hohe Anerkennung, ausdrücklich eingeschlossen die Leistung des Chores. Angesichts der großen Anzahl von Personen sind etliche Doppelbesetzungen nötig. Einige Leistungen sollen stellvertretend gewürdigt werden. Bettina Grothkopf (Foto) als Adelheid von Walldorf wird vom Publikum gefeiert für eine dramatische Leistung, der es nicht an lyrischer Empfindsamkeit mangelt. László Varga überzeugt kraft klarer Diktion in mehreren Rollen, als Bischof von Bamberg etwa, Anführer der Bauern oder Femerichter. Frank Unger gibt den Geliebten der Adelheid, spielerisch und gesanglich gelingt das ausgesprochen gut.
Große Begeisterung für den jungen Bariton Jason-Nandor Tomory (Foto oben) in der Titelpartie. Er hat den lyrischen Ton des romantischen Liedes, er kann klagen ohne wehleidig zu wirken, dass er in seinen Konflikten selbst zum Täter wird kann er als Darsteller glaubhaft machen als gebrochener Held ohne vordergründige, heldische Attitüde.

Boris Michael Gruhl

Fotos: Dieter Knoblauch, Theater Annaberg

       
 

  

 

 

 

 

 

 

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