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Nostradamus des Erzgebirges

Georg Schuffenhauer, genannt das "Reitzenhainer Mannl", wurde vor 135 Jahren in Arnsfeld geboren. Seine mystischen Weissagungen klingen in der dunklen Jahreszeit noch immer - oder schon wieder - in so mancher Erzgebirgsstube nach.
 
Zeiten sozialer Bedrängnisse waren immer auch günstige Zeiten für Mystik, Wunderglaube, Zauberei, - kurz, für Illusionen aller Art, die das Leben erträglich oder wenigstens tröstlich zu gestalten vermochten. Nicht selten fanden sich Menschen von besonderem Wesen, die vorgaben, Zeichen der Berufung erhalten zu haben und sich als auserwählte Führer wähnten oder sich dazu bestimmen ließen. Die Geschichte ist nicht erst seit Nostradamus oder Seni  voll von derartigen Gestalten. Und manches „Sprachrohr Gottes“ neuerer Zeit umgibt sich mit solch samtschweren Namen wie z.B. Madame Buchela oder Uriella von Fiat Lux. Dass sich dahinter lediglich die Erika Bertschinger aus den Schweizer Bergen bei Strittmatt verbirgt, ändert nichts an der Tatsache, dass auch sie mit einer raffiniert geschürten Weltuntergangs-Psychose und deren schamloser Vermarktung bereits Millionen Gewinne gemacht hat - auf Kosten Tausender gutgläubiger Verlierer.
Reitzenhain 1 (Andere)

Mit dem am 28. Juni 1881 im erzgebirgischen Arnsfeld geborenen und späteren Bahnarbeiter Eugen Georg Schuffenhauer haben diese Seher und Weissagerinnen lediglich Teile des mystizistischen Inhaltes gemeinsam. Er hatte es auch nicht nötig, sich einen großmächtigen Namen zuzulegen, vielmehr nannten ihn die Erzgebirger selbst vertrauens- und auch bedauerungsvoll das „Reitzenhainer Mannl“. So wie sein Vater, der Fabrikarbeiter Carl Eduard Schuffenhauer, hatte auch der kleinwüchsige Sohn keine besondere Bildung genießen können. Von Zeitzeugen wird der Jüngling als verschlossen und wenig redegewandt charakterisiert. Es ist anzunehmen, dass sein zunehmendes Nervenleiden von einer Verletzung aus dem Weltkrieg 1914/18 herrührte.
Ab etwa 1918/19 hatte er mehrfach Eingebungen, Erscheinungen und andere „spiritistische Manifestationen“.
Zu einer ersten psychischen Eskalation kam es dann im Jahre 1922 als ihm in einer markanten Vision von Christus selbst die Heilung von Kranken übertragen worden sein soll.
In dieser Zeit wird er sich auch in Reitzenhain niedergelassen haben, denn von dort aus entwickelte sich in jenen Jahren ein reges okkultistisches Konvertikelwesen, welches schließlich in die sogenannte „Schuffenhauersche Bewegung“ mündete, - eine sektenähnliche Organisation, die bereits 1926 in weiten Teilen des Erzgebirges, bis hinein in den Chemnitzer Raum, einige hundert Mitglieder zählte. Unermüdlich segnete das „Mannl“ Kranke und an den Vorzeichen der Weltwirtschaftskrise verzweifelnde Menschen. Sogar deren Wäsche und andere Gebrauchsgegenstände erhielten von ihm das Kreuzzeichen oder Besprengungen mit geweihtem Wasser. Ein eher katholischer Weihe-Ritus, obwohl sich Schuffenhauer doch ausdrücklich zu Luther bekannte. In seinen „theologischen Auffassungen“ ist er dann auch nicht gegen den „Katholik, denn der hat denselben Gott!“
Schuffenhauer beschreibt in seiner Weise die Krankheitsbilder seiner Patienten und deren möglichen Verlauf.
Er verordnet einfachste Heilmittel aus der Naturapotheke unseres Erzgebirges, arbeitet viel mit dem Zeichen des Kreuzes und soll für seine „Sitzungen“ kein Geld, aber ab und an Naturalien genommen haben. Um 1924 läßt er dann konsequenterweise verbreiten, dass er mit den Geistern der Verstorbenen an deren Stätten der Ruhe sprechen kann. Nächtliche okkultische Rituale sind von nun an keine Seltenheit mehr auf erzgebirgischen Gottesäckern. In den folgenden Jahren erscheinen ihm dann nicht nur Verwandte und Fremde aus heimischen Breiten. In den sogenannten „Offenbarungen“ sind im Jahre 1926 selbst Martin Luther, Kaiser Wilhelm und Fürst Bismarck bei ihm zu Gast.
In den spärlichen Überlieferungen zu jenen skurrilen Persönlichkeiten unserer jüngeren Erzgebirgs-Geschichte ist beim „Reitzenhainer Mannl“ die Rede von sogenannten „Inoffiziellen Materialien“, Papierbögen (auch Pergamente), die während der Schuffenhauerschen Visionen von Beflissenen beschrieben worden sind und von denen nur noch wenige Abschriften existieren. Diese dienten wiederum, bzw. dienen noch, für die Nachbereitung während der „Ausbaustunden“. Nicht nur hierbei ergeben sich interessante Parallelen zum großen Vorbild des schwärmerischen Pietismus, zu Hermann Lorenz (1864-1929), dem Stammvater der im Volksmund so genannten „Lorenzianer“, den Mitgliedern der „Gemeinschaft in Christo Jesu“, die ihren Stammsitz in Marterbüschl bei Lengefeld haben. Für Hermann Lorenz war „der falsche Jesus aus Reitzenhain“, wie er Schuffenhauer in seinen Sitzungen häufig bezeichnete, offensichtlich eine gewisse Konkurrenz.
Im Jahre 1953 wurde das „Reitzenhainer Mannl“ dann von seinem „Herrn und Meister“ heim geholt, wie sein Sohn, Martin Schuffenhauer, der in Aachen lebt, in überaus schwülstigen Erinnerungen an seinen Vater schreibt. Auf die Anfrage, ob der Sohn möglicherweise das Erbe des seherischen Vaters fortsetzt, antwortet dieser in einem Brief an den Autor am 20.7.2007: „Nun, ich bin der jüngste Sohn und habe drei Geschwister. Meine Lehre begann ich in Auerbach und setzte sie in Satzung fort. Danach kam ich zum Arbeitsdienst und anschließend zum Militär. Nun lernte ich meine Frau Anna-Maria, geb. Au kennen. Nach dem Krieg kam ich nach Gießen in Gefangenschaft. Von dort folgte ich, nach der Entlassung, meiner Verlobten nach Bad Bramstedt und gemeinsam gingen wir nach Reitzenhain zurück. Wir heirateten und bekamen vier Töchter. Nach dem Tod meines Vaters gingen wir nach Aachen. 1976 verstarb meine liebe Frau, ich blieb mit zwei fast erwachsenen Töchtern und den neunjährigen Zwillingen zurück. Die konnte ich nur mit Gottes Hilfe überstehen. Ja, wen Gott liebt, den züchtigt er. Heute bin ich 81 Jahre alt und meinem Schöpfer dafür dankbar. Sie wollten auch wissen, ob einer die Gabe meines Vaters besitzt. Dies kann man weder erlernen noch erben, diese Gabe vergibt nur Gott allein. Uns ist sie nicht gegeben. Das Wichtigste sind die Zehn Gebote. Viele Menschen in der heutigen Zeit kennen sie nicht mehr, schenken ihnen keine Beachtung und leben nicht mehr danach. Mit besten Grüßen verbleibe ich – Martin Schuffenhauer.“
Noch in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts war auch in Annaberg von mystischen Ruf des „Reitzenhainer Mannls“ Merkwürdiges zu vernehmen. So hätte er z.B. seherisch von einem Brand auf dem Fichtelberg gesprochen, wie damals der Sohn des Flötisten Wenzel aus Annaberg geheimnisvoll mitteilte, dem dann später das Fichtelberghaus zum Opfer gefallen sein soll. Und tatsächlich: Als das Unterkunftshaus auf dem Berg im Februar 1962 wirklich brannte und wir als Schüler die Rauchwolken vom Fenster des Musikzimmers in der gelben Pestalozzi-Schule (heute Landkreis-Gymnasium) aus sehen konnten, meinte jener Sohn des alten Wenzel bedeutungsschwer: „Nun hat sich die Prophezeiung des Reitzenhainer Mannl erfüllt!“
Viele Jahre war es dann still um den „Nostradamus des Erzgebirges“ geworden.
Neuerdings taucht sein Name in den Gesprächen - nicht nur der Alten - wieder auf.
Woran mag das wohl liegen?

G.B.S.