LESERPOST
ÜBER UNS
IMPRESSUM
WERBEN

Gegründet 1807

www.annaberger.info

Wiedergegründet 2011

    POLITIK   WIRTSCHAFT   KULTUR   LOKALES   HISTORISCHES   STADTFÜHRER    WEIHNACHTEN im Erzgebirge

 

Vergessener Kinderfreund aus Annaberg

Christian Felix Weiße war Schriftsteller, Dichter, Begründer der Kinder- und Jugendliteratur und des deutschen Singspiels - und auch Lessings Literaturgefährte. Haydn, Mozart und Beethoven haben Verse von ihm vertont.
Er wurde am 28. Januar 1726 in Annaberg geboren und ist in seiner Geburtsstadt noch immer fast vergessen. Zu seinem 100. Geburtstag hatte ihn sein Vaterstadt mit einer sozialen Stiftung geehrt, der man sich aber auch kaum noch erinnert.

Auch im Zuge der politischen Wende ist bei der Straßen-Schilder-Umbenennung in Annaberg zum wiederholten Male vergessen worden, jenes kleine, seit Jahrzehnten falsch geschriebene Straßen-Hinweis-Schild auf den Annaberger Kinderfreund Christian Felix Weiße, statt mit „s“  endlich mit „ß“ zu schreiben. Sein berühmt gewordener Ausspruch "Morgen, morgen, nur nicht heute, sprechen immer träge Leute !" - könnte in diesem Zusammenhang hoffen lassen, dass die Annaberger Stadtväter zumindest übermorgen eine längst überfällige Korrektur veranlassen werden. Wenigstens die nach ihm benannte Sonderschule im Stadtteil Kleinrückerswalde schreibt seinen Namen richtig...

Am Geburtshaus von Christian Felix Weiße, rechts unten, ehem. Lateinschule.

Am 28. Januar 1726 ist der nachmalige Dramatiker, Lyriker, Librettist und Kinderfreund in Annaberg geboren worden und hat nicht viel länger als ein Jahr hier gelebt. Seine spätere Berühmtheit war es, die den Geburtsort immer wieder ins Gespräch brachte und zu dem er lebenslange Bindungen hatte.

Sein Vater, „der hochgelahrte Rector der Lateinschule zu St Annaberg“ und Lehrer für orientalische und neuere europäische Sprachen, Christian Heinrich Weiße, tat alles dafür, um diese Beziehungen zur Heimat nie ganz abreißen zu lassen. Auch dann nicht, als die Eltern erst nach Altenburg und später nach Leipzig/Stötteritz zogen. Aber auch von Mutters Seite her, einer Tochter des Archidiakon Cleemann aus Chemnitz, Christiane Elisabeth, und deren Vorfahren, scheint reichlich „Erbgut“ aus dem Erzgebirge und dem näheren Umland bei Felix verinnerlicht worden zu sein.

Gern erinnerte er sich an die Besuche bei seinem Chemnitzer Großvater, der Rektor einer Schule war und dort Komödien mit seinen Schülern zur Aufführung brachte, die Felix mit Staunen verfolgte. Erste lyrische Versuche sind aus seiner Altenburger Gymnasialzeit bekannt. Damals begannen auch die späterhin dann weiter ausgebauten und ein Leben lang gepflegten Kontakte zu Lessing und zu den Männern des „Sturm und Drang“ sowie den Aufklärern Kleist, Bodner, Gleim, Uz, Gellert und Nicolai, die sowohl literarische Freunde und Verehrer, aber auch Kritiker seines künstlerischen Werkes waren.

Opernlibretti in einer Ausgabe von 1778

Lessing: Freund und Kritiker

Besonders Gotthold Ephraim Lessing war es, der Weißes Werk in seiner „Hamburgischen Dramaturgie“  sowohl mit Lob („Amalie“) aber auch mit herber Kritik („Richard der Dritte“) bedacht hat. Die teilweise vernichtenden Bemerkungen die Lessing für Weißes unkritische Shakespeare-Adaptionen fand, akzeptierte dieser gelassen und wandte sich nunmehr verstärkt der Oper und dem Singspiel zu. Eine enge und produktive Zusammenarbeit mit dem Komponisten Johann Adam Hiller (1728-1804), für dessen Singspiele er zahlreiche Libretti schuf, schließt sich an. Mit diesen Werken leistet Chr. F. Weiße durchaus einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des volksnahen deutschen Singspiels, der eine nachhaltige Wirkung auf dieses musikalische Genre haben sollte.

Der Bekanntheitsgrad Weißes als Dichter drang auch bis zu Joseph Haydn, der zwei Gedichte von ihm vertonte. Aber auch Wolfgang Amadeus Mozart lies sich davon inspirieren. Vier seiner bekanntesten Lieder beruhen auf Texten des Annabergers: „Der Zauberer“, „Die Zufriedenheit“, „Die Verschweigung“ und “Die betrogene Welt”. Und schließlich stammt der Text zu Ludwig van Beethovens heiterem Lied „Der Kuß“ (Op. 128) ebenfalls von Christian Felix Weiße.

Aufgeklärter Pädagoge und Literat

Er ist heute uns weniger hinsichtlich seiner oftmals fatalen Dramen und kaum wegen seiner Singspieltexte noch als wertvoller Literat und Künstler bekannt. Eher vielleicht noch durch seine Natur- und Liebeslyrik, die in wohltuender sprachlicher Leichtigkeit und Gedankenklarheit daherkommt. Diese Eigenschaften sind es dann auch, die ihn zu hoher Meisterschaft in seinem eigentlichen literarischen Metier finden ließen. Wir verdanken ihm eine einmalige Hinterlassenschaft von Kinder- und Jugendliteratur, die einen entscheidenden Wendepunkt im literarischen Schaffen des 18. Jahrhunderts für diesen Leserkreis in Deutschland darstellte. Mit Weiße vollzog sich somit die Vereinigung von Pädagogen und Literaten, wie sie in den Jahren zuvor aufklärerisch angestrebt wurde und für die Ausbildung und Verbreitung des humanistischen Bildes vom freisinnigen Menschen notwendig war. Solche Werke wie „Kleine Lieder für Kinder“ (1766), „Der Kinderfreund - Ein Wochenblatt“ (1775 begonnen) oder die "Beiträge zu kleinen Schauspielen für die Jugend" (1779) hatten über die Entstehungszeit hinaus bedeutenden Einfluss auf die Ausformung der aufgeklärten Kinder- und Jugendliteratur schlechthin.

Weiße-Gut in Stötteritz bei Leipzig

Nicht nur im bekannten Reim „Morgen, morgen, nur nicht heute...“, der aus seinen „Kinderliedern“ stammt, die er schrieb als sein erstes Kind etwa ein Jahr alt war, sind offensichtliche Reflexionen zu seiner Familie und besonders zu seinen Kindern nachweisbar. Sein „A-B-C Buch“, das zu jedem Buchstaben ein Bild, eine Erzählung, ein Lied und einen Sittenspruch hatte, gab er heraus als seine Tochter sechs Jahre alt war. Besonders aber im „Kinderfreund“ - eine der ersten deutschen Kinderzeitungen - die zunächst in Wochen- und später in Monatsnummern herausgegeben wurde, oder im „Briefwechsel der Familie des Kinderfreundes“, der von 1784-1792 in zwölf Bänden erschien, ist viel Erlebtes aus der eigenen Familie eingeflossen.

Immer wieder zog es den Dichter hinauf in die Landschaft seiner erzgebirgischen Vorfahren und besonders in seine Geburtsstadt Annaberg. Im Jahre 1788 begleitete Weiße seine Tochter zu einem Kuraufenthalt nach Karlsbad. In seiner „Selbstbiographie“ berichtet er darüber: "Um die Reise über das steinige Erzgebirge so angenehm wie möglich zu machen, sollte sie über das herrlich Lichtenwalde, das vortrefflicher Thal der Zschopau und meinen Geburtsort Annaberg gehen". In Annaberg selbst musste die Reise dann unterbrochen werden. Ob der Anlass dafür der „dichte Augustnebel“ oder die Stillung des Heimwehs war, - Weiße deutet nur an. Man nahm Quartier beim Annaberger Postmeister Reiche und dessen Gattin, einer geborenen Eisenstuck. Und beide machten ihnen, so berichtet Weiße weiter, „...durch Liebenswürdigkeiten den Annaberger Nebel vergessen.“ Am 16. Dezember 1804 starb der Kinderfreund, der weitbekannte Aufklärer und Humanist, der wahrscheinlich erste deutsche Kinderbuchautor, der gebürtige, aber dort vergessene  Annaberger, in Stötteritz bei Leipzig.

Die Weiße-Stiftung

Dichters Geburtstag - soziales Annaberg

Es war Winter in Annaberg. Richtiger Winter, wie es ihn vor vielen Jahren im Erzgebirge recht regelmäßig gegeben haben soll. Man schrieb den 28. Januar des Jahres 1826.
Der 100. Geburtstag des Annaberger Dramatikers, Librettisten, Lyrikers und Kinderfreundes - Christian Felix Weiße. Schulfrei! Aus allen Annaberger, Buchholzer und Frohnauer Schulen waren an diesem Tag die Kinder mit ihren Lehrern zum Annaberger Marktplatz gezogen, um sich dort zusammen mit „achtenswerten Kinderfreunden“, - wie der Chronist zu berichten weiß -, zu einem überdimensionalen W zu formieren.
AW - Weiße auf Markt


Über 50 Pferdeschlitten standen bereit, um mit der bunten Schar im weiten Bogen durch die Straßen und Gassen von Annaberg und Buchholz zu fahren. Im Schießhaus gab es dann für jeden ein Mittagessen und bis gegen fünf Uhr konnte getanzt werde. Aller Wahrscheinlichkeit fand die darauf folgende „ernste Feier“ im Friedrichsaal des Museum, also im großen Saal des damaligen Hotels „Erzhammer“, statt: Der Superintendent Carl Heinrich Gottfried Lommatzsch war der Initiator der Stiftung, und der Schwiegersohn des Dichters, der jüdische Unternehmer Samuel Gottlob Frisch aus Annaberg, hat ihn und den Vorstand dabei auch finanziell unterstützt. Nach einer Reihe von Gesängen und Reden zur Würdigung von Chr. F. Weiße hatte der Diakonus Schumann reichlich Geschenke an die anwesenden Waisenkinder und Pflegeeltern verteilt. An den Ausgängen des Friedrichsaales wurde am Ende der Veranstaltung eine Sammlung durchgeführt, die mehr als 150 Taler für die „Vergrößerung der menschenwürdigen Anstalt“ eingebracht haben soll.

Aus den spärlichen Quellen zur Annaberger Weiße-Stiftung konnte bisher nicht eindeutig ermittelt werden, ob es sich bei dem hier genannten stadtweiten Fest um die Gründungs-Veranstaltung gehandelt haben könnte oder ob es eine Jubel-Feier anlässlich des 100. Geburtstages von Weiße war, bei der die Stiftung das Patronat inne hatte. Es ist zu vermuten, dass die Stiftung bereits vor dem Jahre 1826 in Annaberg bestanden haben wird, da die Verehrung für den Sohn der Stadt groß gewesen sein muss. Es wäre auch denkbar, dass sich aus einem aufklärerischen literarischen Salon heraus der Gedanke zur Bildung einer Waisenversorgungsanstalt entwickelt hat, die später zur Stiftung wurde.

Hier könnten dann die Hinweise von Wildenhahn in „Das Obererzgebirge und seine Hauptstadt Annaberg“ (1892) zutreffend sein, wenn er von der Gründung der Weiße-Stiftung im nämlichen Jahr spricht. Die Heimatforschung hat hier also noch ein interessantes und wichtiges Forschungsfeld vor sich. Im Hinblick auf die soziale Situation und manch kultureller Defizite vieler Kinder und Jugendlicher im heutigen Annaberg und seiner Umgebung sowie in Anknüpfung an bewährte Traditionen sollte geprüft werden, ob eine Wiederbelebung der Weiße-Stiftung in der Heimatstadt des Kinderfreundes nicht angeraten wäre. Für die erzgebirgischen Kinderfreunde könnte Chr. F. Weißes Wahlspruch dabei vielleicht ein anregender Denk- und Leitspruch sein: "Wer das kann, was er will, ist ein glückseelger Mann. Doch weis' und groß ist der, der das will, was er kann!"

Gotthard B. Schicker

Literarisch-musikalische Soiree zu Felix Weiße am 22. März 2013 - mehr dazu hier.

 

 

 

THEATER ABC