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Mai 2025




Moliéres „Tartuffe" und Musical  „Tschitti tschitti bäng bäng“ in Annaberg

Das Annaberg-Buchholzer Theater existiert nunmehr in seiner 132. Spielzeit und Publikum wie Kritiker bescheinigen dem Ensemble unter der Leitung von Moritz Gogg außerordentliche, dazu mehrfach prämierte Leistungen.

tartuffe (Andere)
Foto: Dirk Rückschloß/Theater Annaberg

Insbesondere die Vielfalt des Repertoires spricht zunehmend breitere Bevölkerungsschichten an und immer mehr Jugendliche werden aktiviert mit „Klassenzimmer“-Stücken und Musicals. Es wird viel für Kinder gezaubert und v.a. auf den Greifensteinen kann im Sommer geschwelgt werden mit der ganzen Familie. Aber das Theater hat auch mit der Unterhaltungsfunktion eine ebenso wichtige Bildungsaufgabe. Nicht nur historisch, als von den fahrenden Theatertruppen auf die feste Bühne gestiegen wurde, vor einem wenig gebildeten Publikum Aufklärungsarbeit geleistet werden sollte – damit auch über gesellschaftliche Zustände gelacht, geweint und nachgedacht werden sollte. All das brauchen wir heute mehr denn je. Die großen Theaterdichter wie William Shakespeare in England, Moliére, eigentlich Jean-Baptiste Poquelin (soviel Zeit muss sein!) in Frankreich- mit Begegnung zur Comédia del arte- , und Gotthold Ephraim Lessing, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller in Deutschland  darf man nicht vergessen. Man muss sie wach halten wegen des großartigen künstlerischen Gehalts: Inhalt und Sprache!

Und wie aktuell sie sind, zeigte sich in Moliéres „Tartuffe oder der Profiteur“, Komödie in fünf Akten, nachgedichtet von Dirk Schäfer in Alexandrinern, - einem Versmaß, das einst Goethe beim Dichten seiner jungen Geliebten Christiane auf den nackten Körper klopfte! Die Heiden-Arbeit der Schauspieler, diese Texte zu lernen, sei hier erwähnt, ohne das zu würdigen. Es ist jedem ernsthaften Mimen Brot! Und wie gut das Schauspielensemble gelernt hatte, bekam das interessierte Publikum, wenn auch wenige im Saal waren, zu spüren. Die Geschwindigkeit der gesprochenen Texte, schon gar bei den Pointen oder auch beim Kennenlerne der Charaktere wurde dem Publikum dadurch erschwert, so dass die ersten Lacher erst spät einsetzten. Dazu kam ein von der Regie Jan Holtappels forcierte Aktionen, die manches auch noch schluckten, von kleinen Sprachfehlern oder wenig artikulierten Konsonanten mal abgesehn. Also es war ein wenig ein Schauspiel für Schauspieler, die ja ihre Texte kennen. Vertauschung von Subjekt und Objekt, wobei ja hier der aktive Zuschauer gefragt ist, auf den das Gespielte einprasselt. 1660 gab es ein Aufführungsverbot, weil sich Klerus und die Herrschenden gar zu sehr brüskiert fühlten. Spannend nicht?! Und das will doch der Zuschauer heute nachvollziehen können, wo man doch heute alles sagen kann…

Die Handlung ist in die goldenen Zwanziger versetzt, was nicht auffällt, denn gut gelebt hat die französische Elite erst Recht zu Moliéres Zeiten. Orgon (Frank Siebenschuh), ein reicher Familienvater, lebt mit den Seinen im Überfluss und lernt Tartuffe (Marvin Thiede) als moralische Institution kennen, schätzen und vertrauen. Erst als sein attraktive Frau (Marie-Louise von Gottberg) ihm nachweist,- und wie !, dass er ein Verführer ist, Orgon bereits seine Tochter (Annalena Oswald) an diesen zwangsverheiraten will und schlussendlich das Kind in den Brunnen gefallen ist, wacht er auf. Zu spät, denn Moliéres Komödie ist eine schwarze, bitterböse. Der Betrogene muss am Ende Haus und Hof verlassen, in dem Tartuffe sich einnistet, wird verlacht, und es ist nicht klar, wer aus der Familie zu ihm hält. Die Familie um ihn herum: Madame Pernelle, die Mutter des Hausherrn, wird von Udo Prucha drangsalierend im Rollstuhl gegeben, sein Sohn Damis (Rouven Klischies) tritt fordern und sich abwendend auf, spielerisch aktiv, sprachlich undeutlich. Orgons Tochter ist die Überrollte, Überforderte, soll auch noch den Ungeliebten heiraten, ist aber in Valère (Leopold Peter) verliebt. Bei Annalenas Oswalds Gestaltung der Mariane-Figur passen die 300 Jahre alten Inhalte weder zu ihrer figürlich wunderbaren Beweglichkeit noch zu den anzunehmenden zwanziger Jahren. Sie ist trotz Gehorsam nicht die unterwürfige Tochter.

Leopold Peters Liebhaber ist am Beginn der Duldsame, Weichende, -wandelt sich aber zum Wehrhaften und Kämpfenden. Schwager Cléante (Soheil Boroumand) ist der flexibel, selbstbewusste Warner, eigentlich der „Spielemacher“, bis Dorine, die Zofe auftritt und allen die Show stiehlt. Rose Lohmann ist einfach nicht zu stoppen beim Warnen, trösten, kämpfen , anklagen. Hosen tragend wie einst Marlene, Lockenkopf schüttelnd und gut artikulierend. Sie hat das Heft in der Hand, aber was nützt es, wenn die Autorität falsch entscheidet. Als Gerichtsvollzieher agiert sie ganz als Figur des Rechts, unbestechlich hart. Die Hauptrolle ist prächtig besetzt: Marvin Thiede  i s t  Tartuffe! Wandlungsfähig je nachdem, welcher Person er gegenüber steht, mal kriecherisch freundlich, frömmelnd mit schiefem Kopf, auftrumpfend oder schmierig Liebe heuchelnd. Die drastische Szene der Selbstkasteiung seiner Männlichkeit und Gier als Kontrast zur gespielten Freundlichkeit. Thiede setzt seine mimischen Mittel sparsam, aber umso wirkungsvoller ein. Tartuffe ist Kind jeder Zeit, die sich bereichert, manipuliert. Die Ausstattung der Bühne (Linda Hofmann) ist so sparsam wie wirkungsvoll. Bändergitter wie Käfige, Wände, Trennung wie Durchlässigkeit gewährend. Sehr flexibel und Räume öffnend. Eine sehenswerte Inszenierung, ohne die anfängliche Hastigkeit, die Inhalte stärker befördernd. Man soll Sprache auch genießen dürfen. Schade, dass sich nach der Premiere immer weniger in den Wundertempel des Lebens, das Theater trauen.

Eveline Figura

Weitere Vorstellungen Details und Karten



Nun noch das Kontrastprogramm zu Ostern:

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Foto: Dirk Rückschloß/Theater Annaberg

„Tschitti tschitti bäng bäng“, Musical von Richard M. und Robert B. Sherman. Das Stück ist aus der Feder des James-Bond-Erfinders. Man glaubt es kaum. Die Vorlage bildet der bekannte MGM-Film. Die Handlung ist deshalb auch spannend. Der Vater Pott (Sebastian Smulders) ersteht ein altes Automobil, was er für seine Kinder zu einem Rennauto umbaut. Er ist auch sooo lieb gespielt, weswegen sich Truly (Zsófia Szabó) in ihn verliebt und schön singt, samt Kindern. Der Bösewicht, Baron Bombast (László Varga), verliebt in Spielzeug, ist scharf auf das Auto und lässt sogar Potts Vater (Leander de Marel) versehentlich entführen. Die Baronin Bombast (Bettina Grothkopf) ist Kinderfeindin und hat dafür den Kinderfänger (Matthias Stephan Hildenbrandt) engagiert. Boris und Goran (Vincent Wilke und Jacob Hofmann) spielen zwei verrückte Typen (fast wie bei Kevin allein zu Haus) herrlich skurril und albern! Die eigentlichen Hauptdarsteller neben den Großen sind die Kinder von Potts,  Amelie Hadlich/Frida Marthe Peschel und Amelie Ritter/Hanna Schreiber. Sie müssen viel rufen und winken, im Auto sitzend Spaß haben und bekommen viel Applaus. Die Ulktypen sind aber der Baron und die Baronin, Varga mit Watteau-Bauch und Grothkopf aufgeprezelt von Kopf bis Zeh.

Sie spielen, tanzen, singen um die Wette und haben ihren Spaß beim Samba. Hildebrandt als Kinderfänger und Schrotthändler ist wieder eine Type für sich: Sein schriller Tenor und ein tolles Kostüm a la Puppenspähler macht ihn authentisch. Da geht nur noch Leander de Marels Großvater drüber, der mit verhaltenen Tanzbewegungen, fein gesungener Liedchen und ab und an einen wirkungsvollen Abgang Richtung Klo die Lacher auf seiner Seite hat. Die Regie des quirrligen „Haufens“ auf der Bühne hatte Stefan Haufe!, der auch für die einfallsreichen Tanznummern bürgte. Kompliment an die Tänzerinnen und den Kinderchor. Das alles wäre nix, ohne die tolle Musik aus dem Graben unter  Markus Teichler oder/und Karl Friedrich Winter. Zart im Detail und temperamentvoll bis jazzig sind sie den amerikanischen Klängen voll gewachsen. Bravo! Der große Endapplaus gehört aber den Werkstätten, der Ausstattung unter Martin Scherm. Neben den Farben, den Kostümen sind es die kleinen Dinge wie das Auto selbst, die Werkstatt des Spielzeugmachers und dieser selbst, -Corinna de Pooter- sehr hübsch und bewegt anzusehn, und die Kostüme stilsicher britisch oder lateinamerikanisch. Toll! Ein großer Spaß für die ganze Familie, zum Erholen von der Weltpolitik und diese doch auch hier wiederfindend.

Eveline Figura

Die Inszenierung wird in die nächste Saison übernommen.