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Gegründet 1807
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November 2025
Kampf der Königinnen: Schillers "Maria Stuart" am Theater Annaberg
Eine eigenwillige Inszenierung von Schillers „Maria Stuart“ am Eduard von Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz mit gekonnten schauspielerischen Leistungen.
Fotos: Dirk Rückschloß/Theater Annaberg
Klassikerinszenierungen verlangen allen viel ab: Den Schauspielern beim Lernen der Texte und ihrer Rollengestaltung, dem Regie-Team bei der kreativen Umsetzung in die heutige Zeit und auch und gerade dem Publikum beim Hineinhören und -fühlen in historische, weltanschauliche und persönliche Gespinste. Schiller war Historiker mit einem Lehrstuhl als Professor an der Jenaer Universität. In seinem Geschichtsbild ´läge die ganze moralische Welt`. Man darf also bei ihm auf historische Präzision vertrauen, ohne dass er im Drama die Menschengestaltung, das Sich-Einfühlen hinten anstellte; Dichtkunst vom Feinsten eben.
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Der Regisseur, Jan Holtappels, ist der junge Oberspielleiter des Eduard-von Winterstein-Theaters und hat natürliche, stringente Sichten auf Inhalte und Handlung. Dass er viel Text gestrichen hat, macht die Inszenierung verständlicher und handhabbarer, verkürzt aber gerade dort, wo die Herrschenden, insbesondere Königin Maria Stuart von Schottland, ihre menschlichen Motive zeigen. So sind alle ihre Bediensteten, wie der alte Kammerdiener und v.a. die Amme Kennedy raus. Was bleibt ist eine gefangene Maria Stuart in einem unterirdischem Käfig mit Leitern wie in Guantanamo, halb nackt, ihrer Kleider beraubt. Julia Sylvester muss nun gegen diese „moderne“ Entwürdigung anspielen, die der historischen Figur so nie angetan worden wäre; man hatte diffizilere Methoden. Der Schauspielerin gelingt, was man mit ihrem Outfit kaum zu hoffen wagt. Sie spielt ihren nun fast unglaubhaften Herrschaftsanspruch, nicht nur für Schottland, sondern auch für den englischen Thron. Sie sehnt sich nach Hilfe durch den ehemaligen Übervater-Kardinal und ihre katholische Religion. Man verweigert ihr die Rituale, die sie am französischen Hof ausgelebt hatte, ein Jahr sogar Königin von Frankreich gewesen zu sein.
Das wird im Spiel deutlich und die Darstellerin gibt der Figur die Würde, die die Höflinge ihr verweigern. Auch genießt sie das frauliche Bewusstsein dreimal verehelicht gewesen zu sein und einem Thronfolger gezeugt zu haben. Unter den Höflingen ist ausgerechnet der jahrelange Günstling ihrer Widersacherin, Königin Elisabeth I., Robert Dudley, Graf von Leicester, ehemals in die junge Schönheit Maria verliebt gewesen und das flammt wieder auf. Malte Sylvester spielt den von allen beneideten Höfling ohne Angeberei, mit Fairness gegenüber beiden Frauen und Eigenspiegelung. Großartig in seinen verdeckten Motiven die adligen Minister Georg Talbot, Graf von Shrewsbury (Marvin Thiede), dem Maria als erstes als Gefangene anvertraut wurde. Dann der Großschatzmeister Wilhelm Cecil, Baron von Burleigh, als konsequent auf die Durchsetzung des vom Kronrat beschlossenen Todesurteils pochend. Ein Aufsteiger, der seine Stunde wittert, so von Marius Marx gegeben. Annalena Oswald in zwei unterschiedlichen Männerrollen: Wilhelm Davison, Staatssekretär, und Wolfram, der am Ende, erst nach dem Tode der Maria, zerknirscht berichtet, Falschaussage über die angeblichen Verschwörung der Stuart geleistet zu haben. Die Oswald kann überzeugen und berühren. Die tragische Männergestalt ist jedoch der Mortimer des Leopold Peter, der erst seinen Oheim die Treue für Elisabeth glaubhaft macht, um zu Maria vorzudringen und ihr dann offenbart in deutschen Landen zum katholischen Glauben zurückgekehrt zu sein und ihr seine Liebe und Befreiung zu verkünden. Sein Selbstmord ist dramatisch, aber die Abschlussszene der Hinrichtung der Maria noch mehr, verdeckt das Grauen, aber es spielt sich um so wirkungsvoller im Kopf der Zuschauer ab.
Die Elisabeth I. von England der Marie-Louise von Gottberg ist ganz ihrem väterlichen Auftrag von Henry VIII. verpflichtet, eine Inselmacht für ein späteres Weltreich zu befestigen mit Hilfe der vom Papst unabhängigen anglikanischen Kirche, noch in allen Reichen geächtet. Frau von Gottberg gelingt es überzeugend und anrührend die „jungfräuliche“ Königin im Sehnen nach Nähe zu ihren Günstlingen darzustellen. Ihr Ringen mit sich bei der Aufschiebung des Hinrichtungsvollzugs, ein von Maria gewünschtes persönliches Treffen der Kontrahentinnen zu vermeiden und dann doch zur Festigung ihrer Überlegenheit zu nutzen, ist in körperlichen Windungen, Sprachton und Haltung großartig. Und das nicht nur deshalb, weil die Ausstattung (Ana Tasic) ihr glitzernde Kleiderpracht gewährt, die sie zu zelebrieren versteht, sondern auch zu der fast nackten Maria kontrastiert. Auch ohne diese Extreme hätte das Publikum die Dramatik der Frauengestalten und der durch aufgehetztes Volk erzwungenen Tötung verstanden.
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Die Dynamik des Geschehens haben Dramaturgie (Marco Süß) und Regie versucht durch einen rhythmisch agierenden Bürgerschaftschor zu verstärken, der Texte von Wolfram Lotz spricht, ruft, agiert. Ganz engagiert vorgetragen von Laiendarstellern, die wie im Kampf ein-/mehrstimmig auftreten.Tenor ist eine Art Politikerbeschimpfung, ohne zu verdeutlichen, wer gemeint sei. Sind es die absoluten Königinnen in ihrem Gottesgnadentum unantastbar oder die karrieristischen Höflinge, die ihre Interessen mit und gegen Königin und Volk durchsetzen? Letzteres ist eh nur die Schlachtmasse der Geschichte, Opfer immer wieder! Und sind alle Politiker, ein Beruf der in diesen Zeiten nicht beneidet wird, immer nur Politiker und nicht auch Menschen? Wolfram Lotz hatte sich nach einer Aufführung am 17. Oktober 2025 vor dem Publikum zu erklären versucht. „Die Politiker, die Politiker, die Politiker...“, „die Politiker haben den Hass und die Angst und die Verzweiflung und die Wut und die Lust und die Sehnsucht und die Hoffnung.“ Es ist nicht zu leugnen, dass das vielfache Rufen des Dichters in die Nacht des Zuschauerraums heutige Empfindungen weckte. Aber es braucht Erhellung -Wer, welche Politiker, Wut, Verzweiflung oder welche gar in dunkler Nacht Hoffnung können, trotz alledem, denn „die im Dunklen sieht man nicht.“ Auf die Reaktionen von jungen Leuten, mit Schulklassen 2026 geplant, darf man gespannt sein.
Eveline Figura
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