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Oktober 2025


Die alte Dame auf dem Berg

Die St. Annenkirche in Annaberg-Buchholz wurde vor 500 Jahren fertig gestellt - Programme rund ums Jubiläum 2025

ana (Andere)
Man sieht ihr das Alter an und auch wieder nicht. Ihre Patina ist so edel wie das Gemäuer, die klare Gestalt, aus Gneissteinen den Bergmannen zugeeignet, noch der Gotik verhaftet. Im Innern kann man auf Schritt und Tritt den Übergang in die Frührenaissance nördlich der Alpen folgen, manches erstmals neuartig und einzigartig im deutschen Raum zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Das Gotteshaus zeigt die Behauptung des Menschen in der Arbeit und ab 1539, der Evangelisierung in Sachsen, auch den Beginn der geistige Befreiung aus mehrfacher Unterdrückung. Der „Bergmannsdom“ ist seit 10 Jahren herausragender Mittelpunkt des Weltkulturerbe-Titels „Montanregion Erzgebirge“.

Kirchenschiff (Andere)Es hieße, die berühmten Eulen nach Athen,- in dem Falle nach Annaberg zu tragen, alles nennen zu wollen, was es zu diesem Juwel sächsischer, spätgotischer Baukunst zu sagen gibt. Die Annaberger, die Erzgebirger kenne und lieben ihre Bergkirchen, die heute mitten im Leben stehen, ohne jeden Zwang hineingehen oder sich beugen zu müssen wie einst. Doch gerade diese Kirche birgt so viele Schätze und hat so interessante Entstehungsbedingungen, die doch noch erwähnenswert sind: Die Einheit von Raum, Landschaft und Arbeit im Sakralbau.

Das sind zunächst die ergiebigen Silberfunde u.a. am Schreckenberg (OT Frohnau), die den Landesfürsten Georg den Bärtigen Ende des 15. Jahrhunderts dazu inspirierten „sein Gesamtkunstwerk“, die Stadt Annaberg (urspr. „die neue Stadt am Schreckenberg“) zu konzipieren und dazu mit einem bedeutenden Sakralbau, der St. Annenkirche sowie einem Franziskanerkloster, der zweitletzten Klostergründung in Sachsen, zu vereinen. Die hl. Anna, Mutter der Maria, gilt als Schutzheilige der Bergleute, die überall in Europa dort zu finden ist, wo Bergbau betrieben wurde und wird. Figur und Bild von ihr findet sich als „Anna Selbdritt“ (Anna, Maria und das Jesuskind) im Annaberger Stadtwappen und zentral als Halbrelief an der Kanzel in der Annenkirche u.a.m. Und eine Annenkirche gibt es vielerorts, z.B. auch in der Residenzstadt Dresden. Der Kurfürst kaufte für die neue Kirche in Annaberg, der „liebsten“ seiner Städte 120 wertvolle Reliquien aus Italien an, u.a. einem Finger der Heiligen. Diese Heiligtümer machten St. Annen zu einer Wallfahrtskiche und wichtigem Landesheiligtum zugleich.

Das gab den schwerst Arbeitenden, meist armen Bergleuten, Lebenswille und Zuversicht, zog weitere Einwanderer an und einen Wallfahrtstourismus fürs eigene Seelenheil. Damit kam viel Geld, was für Bergerschließungen und Stadtgründung ausgegeben werden musste, bald wieder herein. Vermittels regen Ablasshandels in der katholischen Zeit durch den späteren Gegner Martin Luthers, Johannes Tetzel und seiner Bettelmönche, wurde das Geld der angstbesetzten Bürger eingenommen und per Erlass das meiste für die eigene Kirche genutzt, entgegen der Annahme, dass das für Rom und den Petersdom bestimmt gewesen sei. Stadtgründung(1496), der Kirchenbau von St. Annen (1499-1525), Klosterbau (1502) sowie die Bergkirche am Markt -von Bergleuten selbst finanziert und gebaut, sind so zeitlich eng beieinander entstanden wie sonst kaum irgendwo.

ana bergaltar (Andere)Dass Kurfürsten oder Könige so zielstrebig baukonzeptionell und umfassend agierten ist später nur noch bei August dem Starken in Dresden und Sachsen zu dokumentieren oder bei Friedrich dem Großen in Potsdam Sance Souci, Potsdam Stadt und Berlin oder Peter dem Großen in St. Petersburg. Dieser progressive Aufbauphase Kurfürst Georg des Bärtigen folgten aber auch ideologische Stagnation, Verfolgung von Protestanten und am Ende Rachsucht gegenüber den aufständigen Bauern 1525/26. Gefangene sollen sogar an der Annaberger Stadtmauer im Einsatz gewesen sein.

Dass der späte Einzug der Reformation erst mit dem Tode des Kurfürsten 1539 in Annaberg möglich wurde (Buchholz war unter Friedrich dem Weisen war schon10 Jahre früher evangelisch geworden) hatte auch Vorteile. Das Bürgertum und die Bergleute sehnten neue Verhältnisse herbei, nahmen die Annenkirche in evangelischen Besitz, ohne die herrlichen Kunstwerke aus der katholischen Weihezeit zu zerstören. Das Volk hat die 26 Jahre Aufbauszeit sozusagen miterlebt, ja begleitet, die wundervollen Kunstwerke wachsen gesehen. So was zerstört man nicht! Es sind ja die Arbeiten der Kollegen aus der Dombauhütte gewesen. Es gab keine Bilderstürmerei.

Die kunstgeschichtlich wertvolle Ausstattung der St. Annenkirche in ihrer Geschlossenheit ist einmalig: Raum und Gegenstand sind eine selten gelungene Einheit: Der Architekt Jakob Heilmann war Schüler des Prager Hofbaumeisters Benedikt Ried und so finden sich auch im böhmischen Erzgebirge architektonische Schwesterbauten und Einflüsse. Das einmalige, an einen Paradiesgarten erinnernde Schlingrippengewölbe der Decke der Annenkirche mit den reichen
Schlusssteinen weist erstmals Fabulierleidenschaft auf, denn nicht alle Elemente haben stützenden Charakter. Seine Tür in der Alten Sakristei (Heiligtumskammer-Reliquiensammlung) ist aber dann schon ein Werk der Renaissance-Epoche.

Der geniale Bildhauer Hans Witten (H.W.), ein Vollender der Gotik in Sachsen - aus Braunschweig- schuf um 1522 die Schöne Tür fürs Franziskanerkloster, das auch die Residenz des Kurfürsten in Annaberg war. Nach der Reformation kam dieses „Weltgetriebe“ mit Gott als sichtbarer Figur in die Annenkirche. Von ihm stammen u.a. die berühmte Tulpenkanzel im Freiberger Dom, Wandreliefs in der Chemnitzer Schlosskirche, eine Pieta in der Gotischen Kirche in Goslar und viele Kunstwerke, die nur mit H.W. signiert sind. Franz Maidburg, ein kongenialer Selfmademan als Bildhauer, weil außerhalb der Dombauhütte ausgebildet, schuf die 145 plastischen Bildtafeln der biblischen und Märtyrergeschichte an derumlaufenden Empore, anhand derer sich das betende Volk, meist nicht flüssig des Lesen und Schreibens kundig, sich seines Glauben vergewissern konnte, zumal die Messen noch in lateinischer Sprache gehalten wurden. Die Darstellung der Lebensalter-Phasen von Mann und Frau, links und rechts im Altarbereich verraten zudem Humor. Die bergmännisch konnotierte Kanzel mit einem arbeitenden Bergmann ist ebenfalls sein Werk. Übergänge zum Menschenbild der Renaissance finden sich in der Personendarstellung der nackten Eva und Adam in ungewohnter Freizügigkeit oder in Elementen der Naturdarstellung.

Die Augsburger Bildhauerwerkstatt von Adolf und Hans Daucher schufen den wunderbaren marmornen Hauptaltar der Kirche mit der „Wurzel Jesse“, des Stammbaums von Jesus. Das betont in der deutschen Frührenaissance den Menschensohn Jesus, neben seiner Vergöttlichung und ist ein wichtiges Identifikationsglied für die Gläubigen. Viele Portraitköpfe der Familie sind dargestellt. Das wohl wichtigste Kunstwerk unter den großen Seiten-Altären wie die Mondsichelmadonna der Münzergilde und dem Bäckeraltar in der Manie von Veit Stoß, ist aber ganz gewiss das große Tafelbild an der Rückseite des gotischen Bergaltars von Hans Hesse. Dort wird nicht nur die Entstehungslegende des Silberfundes am Schreckenberg gezeigt (wie auch auf den „kleinen Bergaltar in der Buchholzer Katharinenkirche), sondern auch viele der technischen Details der Erzgewinnung, der Arbeit der Steinebrecher, des Ausschwemmens, Frauenarbeit dabei, der Münzmeister, des Umbruchs der Landschaft durch Huthäuser, ja sogar einen Galgen, dem Lohn für Diebe. Kunsthistoriker geraten geradezu in Verzückung über die dargestellte Realität. „Die Schindeln auf dem Dach dufteten geradezu nach Fichte auf diesem Gemälde“, äußerte einer!

Das vielfältige Raumerlebnis der St. Annenkirche kulminiert aber erst im Gottesdienstgeschehen des Jahres und im Kunsterlebnissen bei Konzerten von Kantorei, Collegium musicum, Posaunenchören oder Oratorien mit der Erzgbirgischen Philharmonie Aue oder dem Jugendensemble des Evangelischen Gymnasiums. Orgelkonzerte mit der romantischen Walker-Orgel, die seit 20 Jahren in einer Wiederauferstehung glänzt, sind wöchentlich samstag/sonntags zu hören. Führungen sind zu empfehlen. Geburtstagsfeier zum 500. Jahr der Weihe der St. Annenkirche Zum 500. Geburtstag können das Bürger und Gäste wieder eindrucksvoll erleben. Am 28. September, 17 Uhr, findet aus diesem Anlass ein FESTKONZERT mit der Kantorei St. Annen und der Erzgebirgischen Philharmonie Aue unter Leitung von Kantor Cornelius Hofmann statt. Auf dem
Programm steht Mendelssohn- Bartoldys 42. Psalm und Händels Dettinger Te Deum.

Ausstellung von 18 Kostbarkeiten der Kirchenbibliothek im Erzgebirgs-Museum

Um die Sache rund zu machen: Endlich können die Bürger der Stadt und Gäste nun auch einzelne Schätze der Jahrhunderte alten Kirchenbibliothek betrachte. In der Vergangenheit wurden die wertvollen Bücher eifersüchtig verschlossen und kaum zugänglich gemacht, weil die Kirche auch nicht wirklich sachkundige Verwalter dafür angestellt hatte. Erst mit dem zweijährigen intensiven Forschungsvorhaben der Universitätsbibilothek Leipzig und der wunderbaren Ausstellung „BUCH AUF! dort vom 25.5.-27.8.2023, sind die Bestände gesichtet und erschlossen worden. Drei aufschlussreiche Fachvorträge fanden dazu dort mit Wissenschaftlern statt. Dabei standenregelrechte Entdeckungen in Buchdeckeln und alte Notizen im Fokus, die frühe Erkenntnisse über die deutsche Sprache ermöglichten. Die Kirchenbibliothek umfasst ca. 3800 Bände, z.T. wertvolle Handschriften mit Malereien, frühe Drucke seit dem 15. Jahrhundert. Die „Annaberger Chorbücher“ aus dem 16. Jahrhundert gehören leider nicht mehr dazu. Sie befinden sich in den Dresdener Archiven. Die Ausstellung ist vom 20.9. bis 2.November 2025 geöffnet, gleich gegenüber der Annenkirche.

Und noch eine seltene Präsentation vor Ort: Am 2. Oktober 2025, zur MUSEUMSNACHT „Verborgene Schätze, in der in 13 Häusern Kultur, Geschichte und Handwerk präsentiert wird, findet die Eröffnung, ab 18 Uhr in der St. Annenkirche statt: Der Oberbürgermeister Rolf Schmidt und Pfr. Dr. Thomas Knittel eröffnen, begleitet von festlicher Musik an der Orgel durch Kantor Cornelius Hofmann, und Eric Balcar, Gesang. Im Anschluss kann die ehemalige Schatzkammer der Kirche mit wertvollen Kelchen aus dem 16.Jahrhundert besichtigt werden; dazu erklinkt Musik zur Nacht noch um 19, 20 und 21 Uhr.

https://www.annenkirche.de/

Eveline Figura

Fotos: Stadt Annaberg-Buchholz, St. Annenkirche, Eveine Figura