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November 2021



Ein neuer Benatzky – Theater Annaberg-Buchholz

Dass man erst in diesen Tagen die deutsche Erstaufführung einer Operette von Ralph Benatzky von 1936 erlebt, ist schon erstaunlich. Das ein so fulminantes Werk wie "Der reichste Mann der Welt" der Öffentlichkeit über achtzig Jahre vorenthalten wurde, ist geradezu sträflich.

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Schorsch (Richard Glöckner) und Anselm Hugelmann (Leander de Marel) debattieren über die richtige Atmung eines Sängers. Fotos: Dirk Rückschloß/Pixore-Photography

Da verfassen Hans Müller und Ralph Benatzky, welche schon „Im weißen Rössl“ zusammengearbeitet hatten, eine neue Operette. Diese kommt 1936 unter dem Titel „Der reichste Mann der Welt“ in Wien erfolgreich zur Uraufführung. Bald darauf nimmt die Politik massiven Einfluss auf die Kunst, jüdische Künstler und ihre Werke verschwinden aus der Öffentlichkeit. Millionen Menschen überleben die folgenden Jahre nicht.

Warum eine so gelungene Operette dann aber nie wieder auf den Spielplan zurück kehrte, ist unbegreiflich. Natürlich gibt es Neuanfänge und einen geänderten Zeitgeschmack, aber trotzdem ist man in diesem Fall geradezu entsetzt, was einem hier vorenthalten wurde. Man weiß selbstverständlich grundsätzlich, dass mit dem Nationalsozialismus viele blühende Zweige der Kunst abgebrochen wurden. Aber es an einem konkreten Bespiel zu erleben, ist noch einmal etwas anderes. So überlebte von dieser Operette nur ein Klavierauszug. Die in Annaberg-Buchholz verwendete Neuorchestrierung stammt von Wolfgang Böhmer.

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V.l.n.r.: Leander de Marel (Anselm Hugelmann), Judith Christ-Küchenmeister (Philippine), Stephanie Ritter (Zenzi), Richard Glöckner (Schorsch Reingruber), Madelaine Vogt (Ilka), Christian Wincierz (Bandi), László Varga (Thassilo) und Bettina Grothkopf (Marie).

Handlung: Die Tochter eines Adelsgeschlechtes soll zur finanziellen Sanierung der Familie einen Bankierssohn heiraten. Sie will schon aus Prinzip nicht, „denn die Mädels von 1893 sind modern“. Der Bankierssprössling will eigentlich auch nicht, er will lieber dem Elternhaus entkommen und Künstler werden. Aus der Verlobung wird so vorerst nichts. Da die Tochter anschließend von zu Hause durchbrennt, lernen sich beide im Zug näher kennen.

Das Stück hat großes Potential, sowohl Musik wie Libretto. Die Handlung sprüht vor Einfällen und Sprachwitz, die Wendungen sind, vor allem zum Ende hin, nicht unbedingt vorhersehbar. Da gibt es eigenwillige Schaffner in zu kleinen Schlafwagen, Börsenturbulenzen, die Probleme alter und junger Künstler, Adelsstolz, sichere Sparkassenkonten und missglückte Bühnendebüts – kurz das volle Leben. Trotz einer vorgeblichen Ansiedlung der Handlung im vorvorigen Jahrhundert, wirken deren Probleme keinesfalls wie aus dieser Zeit.

Die einzige Kritik an der Aufführung im Eduard-von-Winterstein-Theater lautet, dass ich insbesondere bei einer deutschen Erstaufführung gern das Werk des Komponisten Ralph Benatzky und des Librettisten Hans Müller bewundert hätte und etwas weniger die Arbeit des Regisseurs Christian von Götz. Musik, Sprache und Witz tragen das Stück auch so. Das Publikum muss hier nicht zum Jagen getragen werden und kann durchaus selbst denken.

Teilweise enthält die Inszenierung - mit passender Bühne und Ausstattung (ebenfalls Christian von Götz) – auch sehr gelungene Verweise. Etwa die Thematisierung des Schicksals vieler jüdischer Künstler. Auffällig ist auch die gute Choreographie, hier geht ein Lob an Leszek Kuligowski. Die akkurat und nicht zu laut spielende Erzgebirgische Philharmonie Aue wünscht man sich nun öfter. Dirigent des Abends war der neue GMD Jens Georg Bachmann.

Von den Darstellern machen alle eine gute Figur. Die schönste Entdeckung des Abends war für mich der neue Tenor am Haus: Richard Glöckner als Bankierssohn Schorsch Reingruber. Er ist schön anzuhören und zu sehen, hoch beweglich und voller Spielfreude. Man fragt sich gleich, wie lange man ihn in Annaberg-Buchholz wird bewundern dürfen. Madelaine Vogt füllt die Rolle der emanzipierten jungen Adelstochter überzeugend und mit vollem Einsatz aus.

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V.l.n.r.: Madelaine Vogt (Ilka), Richard Glöckner (Schorsch Reingruber) und Jason-Nandor Tomory (Ludwig Reingruber). Alter Adel und neues Geld prallen aufeinander.

Köstlich sind auch die Charakterisierungen der weiteren Adelsfamilie. László Varga changiert als pater familias wunderbar komisch zwischen traditionellem Rollenbild und der Liebe zu seiner Tochter. Zu sagen hat er nichts, denn die wichtigen Fragen der Familie werden von der schwerhörigen Großmutter Philippine (Judith Christ-Küchenmeister) entschieden. Deren Lebensgefährte ist der ältere Sänger Anselm Hugelmann – angeblich spielt Leander de Marel diese Rolle bloß. Dann gibt es noch den Sohn des Hauses Bandi (mit Komikertalent Christian Wincierz) und seine Frau Marie (Bettina Grothkopf), deren Entfaltungsmöglichkeiten aber rollenbedingt klein bleiben.

Für die Darstellung des Adels benötigt man eine ganze Familie. Den zu Geld gekommenen Kleinbürger und dessen Haltung zum alten Adel verkörpert Jason-Nandor Tomory als Bankier Reingruber schwungvoll allein: „Sie verachten Geld auch nur bei andern Leuten!“

Die Musiknummern könnten zu recht ebenso bekannt sein, wie die Melodien aus dem „Rössl“ und man kennt sie nicht! Oder haben Sie schon einmal „Wiener Spezialitäten“ oder „O Arabella“ gehört? Also besuchen sie das Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz. Man weiß nicht, ob und wann das Stück danach wieder gespielt wird.

Eva Blaschke

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