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November 2021



Erzgebirge: (Welt)Spitze bei Corona - Triumph der Impfverweigerer?

Haben wir einen Terror der Ungeimpften? Ein Viertel der Bevölkerung im Erzgebirge ist Pandemietreiber und tritt auch noch frech herausfordernd in der Öffentlichkeit auf. Wie verhalten sich Bürgermeister und Landrat? Dazu: Offener Brief eines Arztes an vorderster Front im Erzgebirge, der an Klarheit nichts vermissen lässt.

Beim letzten Lockdown, als vieles geschlossen werden musste, was Spaß im Leben verhieß, waren es die noch geringen Impfzahlen und schleppende Impfstoffversorgung, die „Schuld“ daran waren. Jetzt mit überbordenden Informationen von Wissenschaftlern, Ärzten und Regierungsstellen, stellt sich ein Zusammenhang zwischen Regierungsgegnern und Impfverweigerungen her.

weihnachtsbaum 2
Im Erzgebirge ist derzeit einiges in Schieflage. Ein Weihnachtsbaum lässt sich indees leichter wieder aufrichten als die schräge Gedankenwelt der Querdenker. Fotos: Stadt Annaberg-Buchholz

Was ist los in unserem schönen Erzgebirge? Der Begriff „Spitze“ hatte bisher einen anderen Inhalt, war geklöppeltes Feingespinst mit Motiven aus der erzgebirgischen Heimat. Corona-Inzidenz jetzt heißt: „Spitze“ im vorderen Lager der Corona-Infizierten in Deutschland zu sein. Z.Zt., 17.11.2021, /-Tage-Inzidenz bei 791,2. In absoluten Zahlen 42.086 Fälle, Steigerung zum Vortag fast 500. Bei einer Einwohnerzahl von 337.696 bedeutet das, dass sind fast 12,50 Prozent positiv Getestete/Erkrankte, die andere anstecken.

Besonders Kinder sind immer mehr Infektionsträger, die gottseidank meist ohne große Symptome, aber den Virus weitertragen. Die Krankenhäuser platzen aus den Nähten, die Sterberaten auf den Intensivstationen sind vorhersehbar und 90 Prozent der Intensivbetten sind von Ungeimpften belegt, die immer jünger werden!

Und da wagt so ein Frechling von SALON-Kneipen-Besitzer, - gegenüber vom Rathaus Annaberg - in die
MDR-Kamera zu sagen, dass seine Gäste freie Menschen seien, die wüssten was ihnen gut tut. In seinem Rücken die GästInnen, die aufmüpfigen Blicks den Stumpfsinn skandieren, ohne Masken, ohne Impfung und natürlich ohne Tests. Der noch größere Skandal, dass Tage, nachdem in aller Welt die kritische Sendung gelaufen war, nichts passierte.

Der Oberbürgermeister von Annaberg-Buchholz, Rolf Schmidt, teilte auf Anfrage mit, dass ihm die Hände gebunden seien, weil das Landratsamt zuständig wäre. Von dort kam nun nach Tagen wohl eine Prüfung des Sachverhalts gegenüber dem Verursacher des Skandals. In anderen Gaststätten würde auch lax kontrolliert, ob wer 2/3G praktiziert. Die Restaurantbesitzer fürchten wegbleibende Gäste...

Unser lange am Markt ansässiger Grieche, der sich zu den Corona-Regeln bekannte, hat jedenfalls durch die Öffentlichkeit Zulauf. Gratulation zu Zivilcourage. Die zahlt sich aus. Eine Solidarität der Anständigen, immerhin Dreiviertel der Bevölkerung, ist nötig. Impfen, früher in der DDR eine Selbstverständlichkeit, und Einhaltung der Hygieneregeln haben Erfolge gezeigt. Das nunmehrige Nachimpfen/Boostern ist Teil des Lernprozesses im Umgang mit den Impfstoffen. Auch ein viel versprechendes Medikament ist bereits in Erprobung. Und niemand macht einem Ungeimpften einen Vorwurf, der Vorerkrankungen hat.

Unserer Regierung kann man tatsächlich viel vorwerfen: Zögerlichkeit, widersprüchliche Anweisungen, halbherzige Kontrollen, zu wenig Ausbildung in Betreuungs- und Pflegeberufen und deren nach wie vor zu geringe Entlohnung, genauso wie zu wenig Polizeikontrolle und aktive Ordnungsämter. Aber gerade jetzt die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu beschimpfen, Querdenker-Demos ohne Masken mit Gewalt gegen Polizisten (Leipzig) oder Montags-Demos mit zur Faust geballten Gesichtern auf dem Annaberger Markt mit Angriffen gegen die Presse  sehen zu müssen, entlarvt die wahren Spalter unserer Gesellschaft.

Von den Privat-Clubs, wo geltungsbedürftige Besserwisser und mancher Heilpraktiker Wissenschaftler und Ärzte beschimpfen, ganz zu schweigen. Und das alles unter dem Deckmantel der Freiheit. Von Gleichheit und Brüder-/Schwesterlichkeit hört man da nix. Aber das ist schon wieder ein anderes Kapitel, das Bildung und Empathie verlangt, wo man sie nicht voraussetzen sollte.

Und sogar in den amerikanischen Medien, in der
renommierten New York Times, ist Annaberg und das Erzgebirge schon gelandet. Nicht mit dem Welterbe-Titel, sondern mit einem Aufstand verrückt gewordener Zwerge in der Provinz. Ein kluger Mann hat formuliert: „Provinz ist kein Ort, sondern eine mentale Haltung!“ Ob sich das Gefühl von Heimat in der Weihnachtszeit mit dem geplanten Weihnachtsmarkt (Annaberg war mal der schönste Weihnachtsmarkt einer Kleinstadt in Deutschland!) wieder einstellt, wenn dort trotz Alkoholverbot demonstrativ von Provokateuren dagegen verstoßen werden wird, ist eine andere Frage. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer will einen „Wellenbrecher jetzt!“. Man darf gespannt sein wie er das hinbekommen will.

Sind die Lichter angezündet,
Freude zieht in jeden Raum,
Weihnachtsfreude wird verkündet,
überall soll Friede sein.

Eveline Figura

Neue Impf-Stützpunkte sind im Ortsteil Buchholz und im Barbara-Uthmann Ring eingerichtet. (Auskunft Rathaus vom 18.11.2021)

Offener Brief von Dr. med. Thomas Ketteler, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I, im Helios Klinikum an die Bürgermeister und den Landrat des Erzgebirgkreises vom 16. November 2021:

"KLARTEXT!
Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Herren Oberbürgermeister und
Bürgermeister des Erzgebirgskreises,

angesichts der dramatischen Entwicklung der 4. Welle der Corona-Pandemie im
Erzgebirgskreis wende ich mich als besorgter Mediziner in verantwortlicher Position
an Sie, die Sie wie meine Kollegen im Klinikum und ich Verantwortung tragen für
die Bevölkerung.
Treffender kann ein Appell nicht sein als der des Medizinischen Direktors des
Klinikums Fürth, Manfred Wagner, dem ich mich vorbehaltlos anschließe und den ich
daher an Sie weiterleite:
„Die Pandemie ist keine Privatsache! Impfen ist keine Privatsache! Die Freiheit des einzelnen
endet dort, wo sie die Freiheit des anderen begrenzt. Und dieser Punkt ist in der Pandemie
längst erreicht.
Das Nicht-Impfen von über 20% der erwachsenen Bevölkerung hat immense Auswirkungen auf
den Rest der Bevölkerung:
- auf den Patienten mit Herzinfarkt, der wertvolle und überlebensentscheidende Minuten im
Rettungswagen verliert, weil der Weg zum nächsten freien Intensivbett länger als nötig ist
- auf die Patientin mit dem Eierstockkrebs, deren dringend notwendige Tumor-OP mehrfach
verschoben werden muss, weil kein Intensivbett frei ist
- auf die Patientin mit dem Schlaganfall für die gilt: time ist brain. Also jede Minute verzögerter
Krankenhauseinweisung erhöht das Risiko für eine bleibende Lähmung oder Behinderung
- auf den schwerkranken Patienten, der längere Zeit im Krankenhaus liegt vielleicht sogar im
Streben liegt und den seine Angehörigen nicht, oder wenn dann nur kurz sehen und begleiten
können.
- ...
Schon viel zu lange lässt sich die vernünftige Mehrheit der Bevölkerung von Querdenker und
Wissenschaftsleugner mit schrägen Argumentationen vor sich hertreiben. Mit immer neuen und
immer unsinnigeren und v.a. falschen Behauptungen und Theorien, werden Menschen
verunsichert und der einfach klare Blick auf die Realität geht verloren!
Dabei ist es glockenklar: Die Impfungen sind der Weg aus der Pandemie, und das bei einem
extrem hohen Maß an Sicherheit. Die Gefahren und Nebenwirkungen durch die Infektion ist um
ein Vielfaches höher und gefährlicher als Nebenwirkungen der Impfungen!
Wir sind jetzt in der aus meiner Sicht kritischsten Phase der Pandemie. Die 4. Welle der
Pandemie trifft auf ein Gesundheitssystem, das ausgelaugt ist! Unsere Mitarbeiter können nicht
mehr, können nicht immer nochmal alle Kräfte zusammensammeln und wieder durchhalten.
Die Pandemie hat Narben hinterlassen und wir könnten all das verhindern, wenn wir eine
ausreichend hohe Impfquote hätten.

Deshalb nochmal mein dringender Appell an Sie alle:
LASSEN SIE SICH IMPFEN!“
Die aktuelle Situation im Erzgebirgskreis ist allerdings noch viel schlimmer als in
dem Appell erwähnt. Unsere 7-Tage-Inzidenz der Sachsen liegt aktuell bei 750 (im
Erzgebirgskreis bei 740), die der Ungeimpften bei 1.400 (!), die der Geimpften bei
knapp 70 (!). Die Impfquote im Erzgebirgskreis liegt bei erbärmlichen 45%. Die
AHA-Regeln werden im Alltag kaum eingehalten und so gut wie gar nicht
kontrolliert. Dabei gibt es im Erzgebirge anscheinend keinen Mund-Nasen-Schutz,
denn wenn überhaupt getragen, dann guckt der Riechkolben meistens raus.
Angesichts dieser Zahlen müssen auch Sie sich fragen lassen, ob Sie entschieden
genug gehandelt haben, um diese Entwicklung zu verhindern.
In einem gemeinsamen Aufruf zum Umgang mit der Covid-19-Pandemie:
Beobachtungen und Anregungen für die verantwortlichen Akteure in Deutschland
„erinnern“ 35 Wissenschaftler „die Verantwortungsträgerinnen und
Verantwortungsträger unseres Landes in Bund und Ländern an ihre Verantwortung
für das Wohlergehen der Bevölkerung. …

Wir empfinden eine tiefe Enttäuschung über die Gefährdung des gesellschaftlichen
Zusammenhalts und über den wiederholt nachlässigen Umgang mit dem
Wohlergehen der Menschen, die auf den Schutz des Staates angewiesen sind.“
(veröffentlicht im Kölner Stadtanzeiger).
Nahezu alle renommierten Wissenschaftler haben Handlungsempfehlungen
veröffentlicht, denen die Politik nur zögerlich und unvollständig gefolgt ist.
Intensivmediziner und auch wir am Helios Klinikum Aue haben immer wieder auf
die steigenden Patientenzahlen, schwere Verläufe auf der Intensivstation und
Todesfälle aufmerksam gemacht. Wir verzeichnen in Sachsen die höchste
Sterblichkeit an COVID-19 in ganz Deutschland! Unser Personal ist körperlich und
psychisch an seinen Grenzen angelangt, Mitarbeiter*innen reduzieren ihre
Arbeitszeit oder quittieren den Dienst. Wir haben bereits wieder Stationen
geschlossen, um das verbleibende Personal auf die Isolierstationen zu verteilen.
Das bedeutet erneut, dass manche Patienten auf ihre Behandlung warten müssen,
weil Operationssäle geschlossen und ihre Eingriffe verschoben werden müssen.
Einige Verantwortungsträger*innen hören in medizinischen Fragen aber
anscheinend lieber auf vegane Köche, Schauspieler, Doku-Soap-Darsteller und
Sänger oder beklatschen Fußballer, und bestätigen damit nur ihre eigene Ignoranz
und Inkompetenz.

Ich mahne daher etwas an, was die Studienstiftung des Deutschen Volkes in ihrem
Leitbild formuliert hat, nämlich die „Einhaltung von Regeln eines zivilisierten
Diskurses; und dazu gehören insbesondere kritische Offenheit und intellektuelle
Redlichkeit.“ Letztere ist unserer Gesellschaft leider verloren gegangen in Zeiten, in
denen jeder Unqualifizierte seine wissenschaftlich nicht belegbare Meinung in den
sozialen Medien verbreiten darf. Aufgrund von zum Teil vorsätzlich veröffentlichten
fake news werden gefährdete, aber noch unentschlossene Menschen weiter
verunsichert und „infiziert“. Leider befinden sich auch niedergelassene Kollegen,
Hausärzte, denen die Menschen natürlich vertrauen können sollten, unter den
Impfgegnern, die durch ihr zögerliches oder wissenschafts-leugnendes Verhalten
die Gesundheit ihrer Patienten gefährden. Ich mag gar nicht darüber nachdenken,
warum das gerade hier bei uns im Erzgebirge so verbreitet ist.

Abschließend appelliere ich an Sie alle, die Impfkampagnen aktiv zu unterstützen
und die Einhaltung der AHA-Regeln im öffentlichen Leben zu kontrollieren. Werben
Sie öffentlich für die Impfung und die Boosterung! Sorgen Sie dafür, dass Polizei
und Ordnungsämter die Einhaltung der AHA-Regeln kontrollieren.
Es liegt in Ihrem Ermessen, ob es tatsächlich vernünftig ist, in diesem Advent an
Weihnachtsmärkten und weihnachtlich geschmückten Einkaufspassagen bzw.
Einkaufscentern festzuhalten. Ich weiß natürlich, wie wichtig Weihnachtsmärkte
sowohl für die kulturelle Identität als auch für die Wirtschaft der Region sind. Ich
bezweifle jedoch, dass Hygienekonzepte mit Flaniermeilen und Verweilzonen
realistisch umsetzbar sind. Würden Sie Ihrer Bevölkerung nicht besser mit einer
Absage dienen?

Am Ende werden Sie und wir die moralische Verantwortung für die gesundheitlichen
Folgen dieser Pandemie im Erzgebirge tragen.

In der Hoffnung auf Ihre Unterstützung verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Thomas Ketteler"