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August 2020


Das Weiße Rössl am Greifenbach

oder warum Kellner auch nur Menschen sind: Am 16. August 2020 gab es die letzte Premiere diesen Sommers auf den Greifensteinen: „Im Weißen Rössl“. Darin enthalten sind ein rosa Trabbi, ein Dampfer und ein rotierender Kuhschwanz sowie jede Menge Verwicklungen in Liebesdingen. Die Corona-Beschränkungen sind in der Aufführung dagegen kaum spürbar.

Die Revue-Operette von Ralph Benatzky aus dem Jahr 1930 erfreut sich großer Beliebtheit. Sie wurde mindestens sechs Mal verfilmt, unter anderem 1952 mit Johannes Heesters und 1960 mit Peter Alexander. Auf der Bühne ist sie ebenfalls häufig zu finden. 2011 war „Im Weissen Rössl“ zuletzt im Eduard-von-Winterstein-Theater zu sehen.

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Der Kaiser (Leander de Marel) und die Rösslwirtin Josepha Vogelhuber (Bettina Grothkopf), Foto: Eric Fresia/Fresia-Photography

Das Stück handelt vom Zahlkellner Leopold, der unsterblich in seine Chefin, die Rösslwirtin Josepha Vogelhuber, verliebt ist. Die Wirtin wiederum schwärmt für ihren Stammgast, den Berliner Rechtsanwalt Dr. Otto Siedler. Dieser wirft ein Auge auf Ottilie, die Tochter des Fabrikanten Giesecke. Nach dem Willen des Vaters soll Ottilie den jungen Sigismund Sülzheimer heiraten, den Sohn seines ärgsten Konkurrenten. Sigismund jedoch ist längst in Klärchen verliebt, die Tochter von Prof. Hinzelmann. Nach immerhin drei Akten schaffen es alle Paare mehr oder weniger glücklich zueinander zu finden. Damit dies gelingt, muss erst niemand geringeres als der österreichische Kaiser im Weißen Rössl Station machen.

Die aktuelle Inszenierung verantwortete Ansgar Weigner. Es ist eine sehr gelungene Regiearbeit, witzig, überraschend und unterhaltend. Die auch auf der Bühne geltenden Coronavorschriften wurden positiv umgenutzt. Die Kürzung der Operette auf anderthalb Stunden (ohne Pause) straffte die Handlung und ließ keine Längen aufkommen. Auch scheint es dem Regisseur gelungen zu sein, ein angenehmes Probenumfeld zu schaffen. Das Ensemble war jedenfalls mit sichtlich Spaß und Spielfreude bei der Sache. Lediglich den aktuellen Theaterfotos ist dies alles kaum zu entnehmen.

Die Ausstattung, also Bühnenbild und Kostüme, verantwortete Robert Schrag. Die Arbeiten von Herrn Schrag waren schon des Öfteren im Annaberg-Buchholzer Theater zu sehen. Als sehr gelungene Beispiele seien „
Madame Butterfly“ und „Das Käthchen von Heilbronn“ genannt. Auch auf den Greifensteinen gelang es, zwischen den Felsen den Anschein des Wolfgangsees samt Dampfer zu erwecken. Achten sie außerdem, wenn sie hingehen, auf die Seilbahn zwischen den Gipfeln!

Die Choreographie lag bei Susi Žanić. In Coronazeiten muss der fast nicht vorhandene Chor auf der ohnehin großen Spielfläche kompensiert werden. Dank guter Verteilung und abwechslungsreichen Bewegungsabläufen fiel kaum auf, dass die Mitwirkenden streng abgezählt waren. Die musikalische Leitung hatte, sehr stimmig, Dieter Klug inne.  

roessl a (Andere)Bettina Grothkopf gab klangschön und darstellerisch überzeugend eine selbstbewusste Rösslwirtin, der man problemlos abnahm, dass sie schon fünf Zahlkellner hinausgeschmissen hatte. Auch an ihrer Liebe für Dr. Siedler gab es keine Zweifel. Ihr Zahlkellner Leopold Brandmeyer wurde von Jason-Nandor Tomory facettenreich gesungen und gespielt. Insbesondere im Liebesleid wurde dieser Leopold mit berührendem Ausdruck gegeben. Ja, Kellner sind auch nur Menschen.

Jason-Nandor Tomory als Zahlkellner Leopold in der Aufführung von 2011, Foto: Dieter Knoblauch

Den Schwarm der Rösslwirtin, den Rechtsanwalt Siedler, spielte und sang Frank Unger charmant und als sehr stürmischer Liebhaber. Madelaine Vogt gab Ottilie als ganz die Tochter ihres Vaters, nur auf den ersten Blick brav und mit durchaus eigener Vorstellung vom Leben. Die Erotik eines Kuhstalls kam bei dieser Paarbildung auf ungewöhnliche Weise zum Ausdruck. Die Ausdrucksmöglichkeiten eines Kuhschwanzes werden doch gewöhnlich unterschätzt.


Den Vater Ottilies, den Fabrikanten Wilhelm Giesecke, spielte Michael Junge als waschechte Berliner Schnauze, mit der Tendenz, etwas dick aufzutragen. Den wenig betuchten Prof. Hinzelmann stellte Matthias Stephan Hildebrandt dar. Wie der Professor bierernst von der Schönheit seiner kleinen Reisen und vom himmlisch ruckenden 3.-Klasse-Waggon der Bahn erzählt, gar den Reisezauber im schalen Wein entdeckt, das gehörte zu den Perlen des Nachmittags.

An Anna Bineta Diouf ist vor allem ihre Wandlungsfähigkeit zu bewundern. Die
Carmen und das lispelnde Klärchen gleichermaßen ohne Abstriche darstellen und wunderbar singen zu können, ist schon beeindruckend. Dies spricht für eine intensive Auseinandersetzung der Künstlerin mit ihren Rollen. Der chic im rosa Trabbi anreisende Sigismund Sülzheimer wurde von Jason Lee frisch, beweglich und mit der unbekümmerten Fröhlichkeit gegeben, welche die Rolle verlangt. Die regelmäßigen Ausfälle der Mikroports trafen diesmal Herrn Lee, was jener jedoch souverän bewältigte. Oft führt das Technikversagen zu erheiternden Einlagen und vermutlich schließen fleißige Greifensteinbesucher inzwischen Wetten auf diesen Umstand ab.

Den alten Kaiser gab Leander de Marel. Und damit ist eigentlich alles gesagt. Für die Leser, die das Pech hatten, Leander de Marel nie auf der Bühne zu sehen: Eine auf den Punkt genau überlegte und auf die Möglichkeiten von Stimme und Körper perfekt abgestimmte Darstellung. Ein Höhepunkt der Aufführung.

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Josepha Vogelhuber (Bettina Grothkopf) mit ihrem Schwarm Dr. Otto Siedler (Frank Unger). Auf dem Balkon der Fabrikant Wilhelm Giesecke (Michael Junge). Foto: Eric Fresia/Fresia-Photography

Paul Wiehe spielte den Piccolo jung, dynamisch und omnipräsent. Herr Wiehe war schon ab und an auf der hiesigen Bühne zu sehen, zum Beispiel im Bettelstudent. Es war eine deutliche Fortentwicklung in seinem Spiel zu bemerken. Die kesse Briefträgerin, welche bei Vorschriften keinen Spaß versteht, gab Stephanie Ritter. Juliane Roscher-Zücker war als Kellnerin Zenzi dem Alkohol zu- und der Welt keinesfalls abgeneigt. Das Paar auf Hochzeitsreise, welchem in seiner Verliebtheit alles ganz gleich war, spielten Bridgette Brothers und Hans Gebhardt.

Zusammenfassend: Es ist eine sehr gut gelungene Aufführung mit engagierten Darstellern, manchen Überraschungen und großem Unterhaltungswert. „Es war sehr schön. Es hat uns sehr gefallen.“ Sie sollten es nicht verpassen.

Reiner Nebel

Weitere Aufführungen: 20., 23. August 15 Uhr, 26. August 17 Uhr, 30. August, 2. September 15 Uhr, 6. September 17 Uhr.

www.winterstein-theater.de