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Wesensfremde Bräuche im Erzgebirge

Knut-Tag, Valentins-Tag, Mutter-Tag, Halloween, Oktoberfest... Brauchtums-Importe, die durchaus in der Lage sind, einige typische Erzgebirgs-Traditionen in Vergessenheit geraten zu lassen, dafür aber die Kassen von Floristen, Gastronomen, Süßwaren- und Kosmetikhändlern zum neidfreien Klingen zu bringen.
Eine kritische Betrachtung mit kurzen Hinweisen auf fast vergessenes Brauchtum im Jahreslauf des Erzgebirge.

„Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“, - meint Goethe, und schließt gleichzeitig darin zeitbedingt die Mütter als Erblasserinnen aus. Schließlich sind sie es aber, denen wir – Dank der „Erbsünde“ - unser ererbtes Menschsein in erster Linie verdanken. Und dann wäre da noch die Muttersprache, die wir – laut unserem vererbten Traditionsverständnis – allerdings im Vaterhaus erlangen...
Tradition (Andere)

Traditionen sind also über Äonen und über Generationen weitergereichte Kulturerfahrungen der menschlichen Gattung auf allen Gebieten der Lebenstätigkeit. Nicht nur religiöse Riten und Glaubenssätze, vielmehr noch soziales Verhalten und kommunikative Beziehungen, die sich in unserem Brauchtum ausdrücken. Ohne Tradition also kein Brauchtum.
Nun sind die spezifischen Bräuche des Erzgebirges mitunter nicht einmal so alt wie die Besiedlung dieses Landstriches. Viele sind mit den Berggeschreyen in die Gegend gekommen, mit den Wanderungsbewegungen in Folge von großen Kriegen oder kleineren Scharmützeln, durch  Religionswechsel die anderen. Manche haben sich nahezu in der Originalform erhalten, andere wurden der Zeit und den jeweiligen Verhältnissen angepasst, etliche eliminiert, manche verfremdet, wenige auch missbraucht...
Die meisten Bräuche, die auf langzeitige Traditionen zurückzuführen sind, kommen aus dem Volk und sind dort bis in die heutigen Tage durch das generative Weiterreichen tief verwurzelt. Im Laufe von Jahrhunderten sind sie assimiliert und so zum Kulturbestandteil der Erzgebirger geworden. Bräuche, die über lange Zeiträume von Bestand waren und gebraucht wurden, gehören heute ebenso zur Tradition des Erzgebirges wie die erst vor Jahrzehnten hinzugekommenen.
Allerdings: Allzu Fremdes, von außen aus merkantilen Gründen Aufgepfropftes, nicht organisch Gewachsenes wurde zwar ausprobiert, über ein paar Jahre gepflegt und auch vermarktet, letztlich ist aber nahezu all dieses wieder in Vergessenheit geraten oder gänzlich verschwunden.
Ob neuere Bräuche aus anderen Gegenden zur erzgebirgischen Tradition werden können, wird also die Zeit, werden letztlich die sozialen und politischen Verhältnisse sowie ihr möglicher merkantiler Gebrauch in unserer Region und unserem Land durch das langfristige Verhalten großer Gruppen von Menschen bestimmt. Das trifft insbesondere für ein Brauchtum zu, das sich traditionell in anderen Ländern, unter mentalen, sozialen und politisch unterschiedlichen Voraussetzungen entwickelt hat und selbst dort noch zu jungen Brautumserscheinungen zählt.
Brauchtumsimporte hatten in der Geschichte des Erzgebirges selten ein lange Lebensdauer, es sei denn, sie harmonierten mit hier vorgefundenen psycho-sozialen und materiellen Verhältnissen, die zu einer Akzeptanz unter großen Bevölkerungsgruppen führte und so über den Gebrauch des Brauches zur Tradition wurden.

Die stabilsten Traditionslinien finden sich in einem Brauchtum, das auf jüdisch-christlichen Wurzeln – und damit letztlich meist heidnischen Ursprungs – basiert. Das
Weihnachtsfest im Weihnachtsland Erzgebirge dürfte dafür das markanteste Beispiel darstellen; in einer Gegend, in der sich nur 24% der Bevölkerung zu einer christlichen Konfession bekennen.
Der gesamte Brauchtumskreis um das erzgebirgische Weihnachtsfest ist nirgendwo in Deutschland und darüber hinaus derart ausgeprägt hinsichtlich seiner Massenwirksamkeit, Intensität, Ausstrahlung, Brauchtumsvielfalt und zeitlicher Ausdehnung. Die Zeit vom 1. Advent bis Mariä Lichtmess (2. Februar) – also nahezu ein Vierteljahr – sind intensiv ausgefüllt mit einer generationsübergreifenden, sozialen und ideologisch heterogenen Traditionspflege, die die Vorbereitungen und Nachbereitungen mit in den weihnachtlichen Aktivitätsrhythmus einbeziehen darf, um zu dem durchaus ernst zu nehmenden Fazit gelangt, dass im Erzgebirge das gesamte Jahr über irgendwie Weihnachten ist.Neunerlei 2 (Andere) Neunerlei 1 (Andere)

Dass auch die hiesige Weihnachtstradition und die damit zusammenhängenden Bräuche zu allen Zeiten auch merkantilen Interessen zugeordnet wurden, wäre am Beispiel des traditionellen Weihnachtsessens „
Neinerlaa“ (Fotos: das authentische und das touristische) nachzuweisen, das von einem einst nur am Hl. Abend gereichten besonderem neungängigem, über Monate angespartem Festessen in Familie, in neuerer Zeit zu einem Marketing-Gag mit zehnlöcherigen Tellern oder ganzjährigem Angebot in diversen Gaststätten verkommen ist. Uns selbst bei all dem kritikwürdigen merkantilen Missbrauch dieses Brauches, hat er überlebt bzw. ist wieder aufgelebt. Auch als Alternative zu neuerlichen Bräuchen, die kaum oder gar keine Verbindung zu unserer Region oder zu unseren Altvorderen und ihrem verinnerlichten und vererbten Brauchtum aufweisen. Muttertag (Andere)

Ein paar wenige Beispiele sollen belegen, dass importiertes Brauchtum meist kein verinnerlichtes ist und möglicherweise auch kaum werden dürfte. Nur über die Kommerzialisierung ist es bei einigen „eingeschleppten“ Bräuchen gelungen, eine Pseudo-Tradition zu entwickeln, die allerdings nur in einem Fall eine gewisse Massenwirksamkeit entfaltet hat.
Die Rede ist vom Muttertag am 14. Mai: Mütter durch deren Nachfahren zu ehren, ist so alt wie die Menschheit selbst. Nicht nur die angebeteten Fruchtbarkeitssymbole, sondern auch leibhaftige Mütter wurden in der Menschheitsgeschichte zu allen Zeiten – und nicht nur im Matriarchat - verehrt, verklärt und zuletzt sogar mit Mütterkreuzen behangen. Frauentag (Andere)
Der Frau an sich erging es da nicht immer so gut, wenn sie keine – oder noch keine – Mutter war. Daher wurde von drei Frauen ein Ehrentag für die Frauen auf der ganzen Welt ausgerufen – egal, ob sie Kindern das Leben geschenkt hatten, kinderlos waren oder bleiben wollten - der Internationale Frauentag am 8. März. Es soll sogar zu allen Zeiten Knaben, Jünglinge und Männer gegeben haben, für die jeder Tag ein Frauen-Tag war und ist, also ein Tag, an dem man mit dem anderen Menschen weiblichen Geschlechts zivilisierten Umgang pflegt. So wie es Menschen gib, die fast immer fröhlich sind und nicht darauf warten, bis der Kalender ruft, dass nun Silvester ist und man(n) – und Frau – fröhlich zu sein haben, so machen immer mehr Männer den humanistischen Umgang mit dem anderen Geschlecht nicht mehr vom 8. März oder 14. Mai abhängig.
Dass eine solche Entwicklung selbstverständlich nicht im Interesse des Marktes sein kann, versteht sich schon aus der Tatsache heraus, dass der erste Muttertag am 14. Mai 1907 mit 500 weißen Nelken garniert wurde. Daraus leiteten zunächst die Floristen für sich den Anspruch ab, Blumen für diesen Tag unter die Leute zu bringen. Obwohl die einstige Bürgerrechtlerin und Begründerin dieses Tages, Anna Marie Jarvis aus den USA, in ihrem Heimatort Grafton in West Virginia nur ihre verstorbene Mutter mit den besagten Nelken in der Methodistenkirche an deren zweiten Todestag ehren wollte.
Sie versuchte bereits 1865 eine Mütterbewegung namens Mothers Friendships Day ins Leben zu rufen. Jarvis folgte damit einem Trend, der nahezu zeitgleich, aber mit anderen Prämissen, in den USA und Europa von den Frauenrechtlerinnen wie u.a. Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, Berta von Suttner initiiert wurde. Die amerikanische Initiative hatte das Ziel, ihre Söhne nicht mehr in Kriegen zu opfern, was auch der europäischen pazifistischen Bewegung einen kräftigen Schub bescherte. Als Anna Marie Jarvis von der Kommerzialisierung dieses Tages erfuhr, kritisierte sie diese Art des Umgangs scharf und trat sogar für seine Abschaffung ein. Die Frauen, die den 8. März favorisierten, hatten eine internationale Frauenbewegung im Sinne und den Anspruch auf eine weltweite Emanzipation der Frau.

Heutzutage werden in den USA die finanziellen Aufwendungen für den Muttertag nur durch das ebenso stark kommerzialisierte Weihnachten übertroffen. Nach den Schätzungen der nationalen Einzelhandelsvereinigung der USA werden im Durchschnitt 172 US-Dollar pro beschenkter Mutter ausgegeben. In Deutschland sind es durchschnittlich 25 Euro pro Person. Obwohl der Trend zwar auch zu Sachgeschenken geht, werden an diesem Tag aber immer noch hauptsächlich Blumen gekauft. So werden in der Muttertagswoche nach Angaben der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle in Deutschland bis zu 130 Millionen Euro Umsatz mit Schnittblumen erzielt, außerdem wird daran gearbeitet, den Muttertag vorzuziehen, um noch mehr Umsatz über einen längeren Zeitraum zu ermöglichen. Vor dem Muttertag liegt am 8. März schließlich der Internationale Frauentag, der auf dem einstigen Gebiet der DDR zwar an inhaltlicher Bedeutung hinsichtlich einer internationalen Frauensolidarität verloren hat, aber im Osten Deutschlands immer noch an dritter Stelle hinter Muttertag und Valentinstag dem Blumenhandel große Umsätze beschert. Mittlerweile sind Ehemänner, Söhne und Liebhaber zur Freude des Handels derart verunsichert, so dass sie für ihre Frauen, Mütter oder Partnerinnen meist an allen drei Tagen rote Rosen regnen lassen...

Auch dieser sogenannte „Tag der Verliebten“, der Valentinstag am 14. Februar, ist ebenfalls zu einem lukrativen Geschäft für Floristen, der Kosmetik- und Süßwarenindustrie sowie der Gastronomie  geworden. Obwohl das Andenken an diesen christlichen Märtyrer Valentino aus dem italienischen Terni 1969 selbst aus dem römisch-katholischen Generalkalender gestrichen wurde (von Papst Gelasius I. 469 für die ganze Kirche eingeführt), feiert er neuerdings auch bei uns im marginal protestantischen und mehrheitlich atheistischen Erzgebirge wieder fröhliche kommerzielle Urständ. Valentinstag (Andere)
Dieser Tag ist ursprünglich ein echter Brauchtums-Import, der aus dem angelsächsischen Sprachraum von Auswanderern mit in die USA genommen wurde, um von dort nach dem Zweiten Weltkrieg von amerikanischen Besatzungssoldaten zunächst nach Westdeutschland eingeschleppt zu werden. Im späten Mittelalter hatte er kurzzeitig die Bedeutung eines Lostages, indem sich junge Paare fanden, verlobten oder auch nur flirteten, woher er möglicherweise auch den Namen „Vielliebchentag“ hatte.
Das Ansehen des Hl. Valentin im deutschen Mittelalter beruhte aber vielmehr auf seiner Schutzfunktion gegenüber Reisenden und den Imkern. Neben wenigen Reliquien in deutschen Kirchen findet sich ab und an auch eine Darstellung des Heiligen mit einem verkrüppeltem Kind an seiner Seite, was darauf hindeuten soll, dass er auch der Schutzpatron von an Epilepsie Erkrankten gilt. Auch an Ohnmacht leidende Menschen oder Pestkranke beteten noch bis in das 15. Jahrhundert zu jenem Mann, der später auch seine schützende Hand über Verliebte und Eheleute halten sollte. Das aus dieser Schutzfunktion ein Geschäft entwickelt werden könnte, darauf sind nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst französische und belgische Gärtner und Floristen gekommen. Somit konnte im flauen Februar, in der „Sauren-Gurken-Zeit“, das Geschäft erst bei den Floristen und später in der Süßwarenindustrie belebt werden. Seit 1948 ist diese Geschäftsidee  in der französischen und ab 1949 in der deutschen Schweiz nachweisbar. Ein Jahr später gelangte sie über Österreich auch nach Westdeutschland. 1950 wurde in Nürnberg der erste „Valentinsball“ organisiert, der von der Floristen-Lobby ausgerichtet wurde. Seitdem hat auch die Gastronomie diesen Tag für ihre Umsatzsteigerung in dem faden Nachweihnachtsgeschäft entdeckt und lockt mit „Menüs für Verliebte“.
Lufthansa Cargo verbreitete 2013 folgende Firmeninformation: „Mit ganzen Frachtflugzeugen voller Blumen sorgt Lufthansa Cargo in diesen Tagen dafür, dass pünktlich zum Valentinstag am 14. Februar Millionen roter Rosen in Europa zur Verfügung stehen. Insgesamt fliegt die Fracht-Airline rund 1.000 Tonnen Rosen aus Afrika und Südamerika nach Frankfurt.“ Erst nach der politischen Wende hat der Valentinstag auch im Erzgebirge ein zurückhaltendes Interesse gefunden. Durch verstärkte Werbemaßnahmen weit vor dem 14. Februar wird - nicht nur den frisch verliebten Paaren – ein schlechtes Gewissen suggeriert, wenn sie an diesem Tag ihrem geliebten Partner keine Blumen oder Pralinen überreichen, bzw. ihn nicht zum romantischen Candle light Dinner verführen..., weil der “Verliebten-Tag” im Kalender steht.Halloween Erzgebirge (Andere)

Im Kalender steht auch das letztlich amerikanische Geister-Fest „Halloween“, das zumindest im Erzgebirge als Brauchtums-Fremdkörper angesehen werden kann. Wenn auch immer wieder dieses Winter-Austreib-Spektakel auf heidnische und keltische Wurzeln zurückgeführt werden soll, um die Verdrängung des alten christlichen Hochfestes von Allerheiligen zu begründen, bleibt es doch ein im Zuge der sogenannten irischen Renaissance nach 1813 eingeschlepptes Gaudium, das ebenfalls von Einwanderern in die USA eine typisch nordamerikanische Ausprägung erhielt und etwa um 1988 Europa, Deutschland und nach der politischen Wende auch das Erzgebirge erreichte.
Hier konnte es allerdings in der US-amerikanischen Variante keine Wurzeln schlagen, da es sich mit regional tradierten Komponenten verband. Dabei hat sich eher ein Kult um den Kürbis, aus dem alten Brauch des „Rübengeisterns“, etabliert, der geeignet zu sein scheint, sich – zumindest unter der Jugend – als Brauchtum zu verfestigen. Von daher wird eine Verbindung vom keltischen Totenfest, über Allerheiligen, zum heidnischen Winteraustreiben gepaart mit einem Fruchtbarkeitskult hergestellt und in die Gegenwart übernommen sowie mit lokalen Besonderheiten ergänzt.
Auch hier spielt nicht zuletzt das kommerzielle Interesse des Handels und der Gastronomie eine wichtige Rolle: Halloween-Kostüme, Masken, Veranstaltungen – und reichlich Alkohol.Oktoberfest Erzgebirge (Andere)

Der Alkohol – meist in Form von Bier – steht auch bei den für das Erzgebirge untypische „Oktoberfeste“ im Mittelpunkt. Obwohl es bereits um 1950 auch in unserer Gegend Versuche gab, diese bayerische Tradition zu etablieren. Mit der fränkischen Biertradition kamen auch weiß-blaue Varianten als Verschnitt des Münchner Oktoberfestes auf unsere Festwiesen. Das „Bratwurstglöckl“ zur Annaberger KÄT war u.a. solch ein Versuch, der zwar angenommen, wo aber ziemlich schnell die blau-weiße von der grün-weißen Folklore abgelöst wurde. Heutige Versuche, eigenständige Oktoberfeste zu installieren oder als Ersatz für die Kirmes anzubieten, stoßen zwar auf eine gewisse Resonanz, dürften aber eine immer mehr kommerzialisierte Randerscheinung im Erzgebirge darstellen, da sich zwar die bayerische und die erzgebirgische Feierlaune und Gemütlichkeit ähneln sollen, bei genauerer Betrachtung aber auch ziemliche mentale, sprachliche, historische und auch gastronomische Unterschiede aufweisen. Das bayerische Oktoberfest ist regional gewachsen und etabliert, von daher wird ein solcher Brauchtums-Import zu keiner verfestigten Tradition im Erzgebirge werden können. Wenn auch die Prinzessin Therese Charlotte Luise Friederike Amalie aus dem Hause Sachsen-Hildburghausen stammt und die Oktoberwiese in München den Namen dieser sächsischen Therese erhielt, ist dem patriotischen Erzgebirger diese – noch dazu teure Tradition – letztendlich wesensfremd.
Knut Tag Ikea (Andere)
Neuerdings rühmen sich erzgebirgische Gemeinden damit, einen so genannten Knut-Tag zu begehen, an dem am 13. Januar ihre Fichten, Tannen, Kiefern – kurz: ihre tangelnden Weihnachtsbäume aus den Stuben (oder aus den Fenstern geworfen) an einem Platz zusammengetragen werden, um sie dem Feuer zu übergeben. Diese Verlängerung des christlichen Weihnachtsfestes um eine Woche wurde bisher nur in den skandinavischen Ländern begangen. Streng genommen kommt der Brauch des Baumabputzens und -verbrennens aus Dänemark, schließlich war der spätere Märtyrer, der Hl. Knut, auch König von Dänemark, den man am 13. Januar 1068 in einer dänischen Kirch erschlug und der noch heute der Schutzpatron des Landes ist. Die Legend meint, dass dieser Mord just an dem Tag begangen worden sein soll, als dieser Knut die Weihnachtszeit um paar Tage verlängern wollte. Nun gab es aber im 11. Jahrhundert auch in Dänemark noch keine Weihnachtsbäume mit Kringel dran, die man hätte abpflücken und naschen können, um dann den vertrockneten Baum zu verbrennen. In Schweden ist das „julgransplundring“, also die Plünderung des Weihnachtsbaums, eine freudige Tradition, insbesondere für die Kinder. Die Männer werfen dann den Baum aus der Wohnung und tragen ihn später zur Feuerstelle.
Seit einigen Jahren hat auch der schwedische Möbelkonzerns IKEA darauf eine Werbekampagne aufgebaut, wie auf unterschiedliche Arte der Baum aus den Wohnungen geworfen werden kann. Am Verbrennungsort hat dann die Spirituosenindustrie auch ihren Festtag... Ob sich dieser ganz neue, aus dem Norden Europas importierte fremde Brauch in unseren Breiten – neben dem Andreas-Feuer (21. Dezember) und Walpurgis-Feuer (30. April/1. Mai) – durchsetzt, wird die Zeit mit sich bringen, zumal sich der 13. Januar dem sich immer mehr etablierenden Weihnachtsende am 2. Februar (Mariä Lichtmeß) entgegenstellen würde.

Gegen die Etablierung neuer, auch gänzlich fremder Bräuche, die das Zusammenleben der Erzgebirger weiter harmonisch gestalten und dabei den Handel aufblühen lassen, soll und darf es keine Einwände geben, – allerdings nur dann, wenn dadurch die ursprünglichen Bräuche, die zu stabilen Traditionen geworden sind, nicht an den Rand gedrängt oder gänzlich negiert werden, weil sie vielleicht nur Harmonie oder andere Kulturwerte, aber keinen Gewinn bringen.
Dabei wird gänzlich unterschätzt, welch ein Gewinn Harmonie in der Gesellschaft - auch der Erzgebirger - sein kann, die durch Pflege des tradierten Brauchtums erlangt wird.
Goethes Erbegedanke, den er 1808 in der Nacht-Szene vom Faust sagen lässt, wird meist verkürzt zitiert, denn nach seiner Aufforderung „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“ folgt die wichtige Mahnung, denn „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last...“.Köselitz Weihnacht 2 (Andere)

Im Folgenden soll auf wenig beachtetes, kaum mehr gepflegtes oder gänzlich
vergessenes Brauchtum im Jahreslauf des Erzgebirges
in aller Kürze und in der Hoffnung eingegangen werden, auf dass vielleicht da oder dort eine Wiederbelebung möglich sein könnte, ohne dabei neue, noch wesensfremde Formen pauschal zu negieren, ihnen aber den gebührenden Platz in unserer regionalen Kulturgeschichte und lokalen Traditionspflege zuzuweisen:

1.
Speisetraditionen zu Neujahr: Quellendes - wie Hirse, Linsen oder Erbsen - muss auf den Tisch, damit das Kleingeld im neuen Jahr nicht ausgehen möge. Auch Reste von Heilig-Abend-Neinerlaa werden am 5. Januar (als 3. Neinerlaa) - also vor Hohneujahr am 6. Januar verspeist. Und natürlich spielt der Karpfen eine Wichtige Rolle an Silvester, da auch seine Schuppen Kleingeld-Verheißer sein sollen

2. Am 2. Februar hat sich das katholische Fest Mariä Lichtmess als Ende der Weihnachtszeit, quasi als Licht-aus-Fest – aber auch touristisch begründet – im mehrheitlich atheistischen und wenig protestantischen Erzgebirge etabliert.
Der Streit, ob am 6. Januar oder am 2. Februar das erzgebirgische Weihnachten zu Ende ist, dürfte zugunsten des alten katholischen Brauches entschieden sein.

3. Winterliches Hutzn-Giehe in einer Hutzn- oder Rockenstube ist offensichtlich veraltet. Kneipen und deren Stammtische, wohin noch vor etlichen Jahren die gemütlichen Zusammentreffen verlagert wurden, gibt es kaum noch.

4. Das ursprüngliche Fastnachtstreiben – insbesondere der Kinderfasching mit Straßenumzügen und Spießneistecken, (auch Kräppele-/Pfannkuchenaufspießen) - das im Erzgebirge zwar keineswegs so stark ausgeprägt war wie in anderen Gegenden Deutschlands, wurde von importierten Karnevalsformen verdrängt. War die Fastnacht im Erzgebirge ursprünglich ein Fest, das von den Bergleuten bestimmt war (wie Pfarrer Christian Gottlob Wild für 1809 feststellte), so ging es zu Beginn des
20. Jh. immer mehr auf das gesamte Volk über. Ein Prinzenpaar, das mit seiner Gefolgschaft gar das Rathaus per Schlüsselübergabe erobert, ist in der ursprünglichen erzgebirgischen Fastnacht-Tradition nicht auffindbar, somit also neueren Datum.

5. Flurumgänge, ob zu Fuß oder zu Pferde, waren im Frühjahr eine nicht nur eine christliche Tradition der Segenspendung, sondern hatte auch ganz praktische Bewandtnis. Schließlich sollten die Grenzen der jeweiligen Gemarktung von Wiesen und Feldern auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Es war aber auch ein gesellschaftliches Frühlingstreffen, auf dem getanzt, getrunken und neue Bekanntschaften – insbesondere zwischen jungen Leuten – gemacht wurden.

6. Eier-Essen (gern auch gefärbte auf den Tischen) am Gründonnerstag mit einer so genannten Griendonneschtagsupp (eine Neunkräuter-Suppe) war eine weit verbreitete Tradition an diesem Vorostertag. Die Gaststätten hatten sich mit grünen Zweigen geschmückt. Da es mitunter noch recht kalt an diesem Tag im Erzgebirge war und das Grün auf sich warten ließ, wurden Zweige z.B. von der Birke im Zimmer vorgetrieben, um sie am Gründonnerstag als Lockmittel an die Kneipentür zu hängen. Dass an diesem Tag auch ein Osterzopf und Osterbroteln (mit Anis und Fenchel) gebacken und serviert wurde, gehörte in vielen Gaststätten – aber auch zu Hause – zum guten Osterton.

7. Das so genannte
Oster-Ficken wird möglicherweise in unserer von Gewalt freien Zeit keine Wiederbelebung erfahren. Es handelte sich dabei um das Schlagen von jungen Mädchen mit einer Rute (Lebensrute) oder Peitsche (althdt. Ficke). Ein alter Fruchbarkeitsbrauch, von dem niemand mehr so recht weiß, wie er ins Erzgebeirge kam und sich hier im 19. Jh. sogar längere Zeit behaupten konnte.

8. Das „Eigebind“ zur Taufe hat sich noch zaghaft erhalten. Der Mutter des Täuflings wird entweder in einem profanen Couvert oder in einem kleinen Geschenk verborgen, ein paar Hartgeldstücke eingebunden (der Brauch geht auf das 16. Jh. zurück, da es noch kein Papiergeld gab). Scheine sollen es nicht sein, da die nur neuzeitliches Unglück bringen.

9. Die Walpurgisfeuer gehen auf die englische Hl. Walburga zurück, die am 1. Mai heilig gesprochen wurde. Dieser Hexen-Verbrennung-Tag hat nicht nur freudige Hintergründe, da man noch vor paar Jahrzehnten der Meinung war, dass in dieser Nacht vom 30. April auf den 1. Mai die Hexen zum Blocksberg ziehen, dort in einem wilden Tanz den Schnee wegtanzen und in alle Richtungen Unwesen treiben.

10. Das Aufstellen des Maibaumes ging früher lautstark, mit Tanz unter demselben, Musik und einem Maibaum-Schmaus vor sich. Es war ein Volksfest, an dem die gesamte soziale Breite des Dorfes oder der Stadt teilnahm und der Bürgermeister Freibier spendierte. Schließlich war kein geringerer als der Lenz zu begrüßen.

11. Gregorius-Fest – ein Schulfest am 12. März, bei dem man nicht nur dem Schutzpatron der Schulen (früher nur der Lateinschulen), Papst Gregor, ausgelassen huldigte (in Sachsen bereits seit 1418), sondern wo die Schüler die Lehrer mit Kuchen, Würsten, Bier oder Gebasteltem beschenkten sowie lautstark und verkleidet durch die Stadt zogen, auch kleine Theater-Spott-Stücke aufführten. Das Fest wurde wegen seiner Ausgelassenheit mehrfach verboten, aber immer wieder neu belebt. Beliebt waren auch die Gregorius-Brezeln, die alle Bäckereien anboten

12. Johannisfeuer war das zweite Feuer im Jahreskreislauf, das am 23. Juni zur Sonnenwendfeier auf unseren Bergen gezündet wurde und auf keltische Traditionen zurück geht. Im 16. Jahrhundert waren es Bergleute, die sich mit Gipfelfeuern gegenseitig übertrafen und dabei zum Umtrunk einluden.

13. Die
Annaberger KÄT ist zwar zum größten Volksfest des Erzgebirges geworden, ist aber auch hinsichtlich Beliebigkeit und Austauschbarkeit von anderen Volksfesten kaum noch zu unterscheiden. Das Besondere, Einmalige und Ursprüngliche dieses aus einer katholischen Dreifaltigkeits-Wallfahrt „zum Heiligen Feld“ hervorgegangene merkantile Gaudium sollte zumindest in Ansätzen an historische Wurzel und deren Weiterentwicklung in 500 Jahren erinnern, also Modernes und Historische zu einer Synthese werden zu lassen, die die KÄT in Annaberg von anderen Rummeln markant unterscheidet.

14. Hebeschmaus – eine alte Tradition beim Hausbau. Anderwärts heißt der Brauch „Richtfest“ oder „Bauheben“. In alten Schriften wird bereits im 16. Jahrhundert davon berichtet, dass nach dem Aufziehen der Richtkrone im Dachgebälk der Bauherr das Fichtenbäumchen auf der Richtkrone mit bunten Bändern schmückt sowie den Zimmerleuten und Handlangern Bier, Käse, Bratwurst mit Kartoffelbrei, Gequetschten (ein Obstler aus Fallobst) und eine Zigarre spendierte.

15. Die Kirmes - also das ursprüngliche Kirchweihfest – wird in den erzgebirgischen Dörfern wieder häufiger begangen. Meist wird es aus praktischen Gründen in den Herbst verlegt und dort mit dem Erntedankfest verbunden. In den Städten ist dieser Erinnerungs-Brauch an die Weihe der jeweiligen Kirche mit festlichem Gepränge kaum noch aktiv. Früher gab es mehrere Formen der Kirmes, zumal ab dem 15. Jahrhundert fast jede Schmauserei den Kirmes-Begriff angehängt bekam: Bierkirmes, Kindeskirmes (Taufe), Narrenkirmes (Fasching), Karpfenkirmes (Fischessen im Gasthaus).
Die kirchliche Kirmes fand ab dem 18. Jahrhundert meist an einem Montag statt, der arbeits- und schulfrei war. Am Abend vom Sonntag zum Montag luden die Wirte zum Kirmestanz, dem so genannten „Burkert“ in ihre Gasthäuser ein, die meist noch Tanzsäle oder Tennen hatten.

16. Im Herbst war dann auch das Kuchensingen eine beliebte Beschäftigung für Kinder und Jugendliche, die von Haus zu Haus gingen, singend um Kuchen zu „betteln“. Das Kuchensingen wurde im 19. Jahrhundert auch vor Ostern, Pfingsten, Kirmes und Weihnachten durchgeführt. Meist war das Kuchensingen bei den älteren Jugendlichen und den Erwachsenen auch mit dem Reiheschank verbunden, jenem reihum Brauen von Bier (von Haus zu Haus) und dessen Verkostung.

17. Durch die Veränderungen in der Landwirtschaft und deren Produktions- und Lieferabläufe ist auch das
Kartoffelklauben bzw. der Abschluss der Kartoffelernte fast verschwunden. Die letzte Kartoffel, die geerntet werden bezeichnete man dann als Stuppelhah. Als noch Hopfen auch im Erzgebirge angebaut wurde, ließ man einen Hahn frei aufs Feld laufen und brachte ihn in einem Hopfenkorb zurück auf den Hof, wo er als Bestandteil eines Festessens zum Abschluss der Kartoffelernte verwendet wurde.

18. Schlachtfest, Krauteinschneiden oder Teig für die
Fasselkuchen ins Fass bringen, sind Tätigkeiten, die heute kaum noch durchgeführt werden. Sie waren aber alle mit großen und kleinen Festen verbunden.

19. Bleigießen war nicht nur zu
Silvester angesagt, auch in der Andreasnacht am 30. November wurden daraus Liebesorakel gelesen. Später kam das Lesen der Zukunft in dieser Nacht aus Karten, der Hand und mit dem Pendel dazu. Auch das rückwärtige Pantoffelwerfen war bei jungen Mädchen beliebt: Wenn er mit der Spitze zur Tür lag, kommt im nächsten Jahr ein Freier ins Haus. Der Andreastag gilt auch als Lostag, der die Weihnachtszeit einläutet.

20. Die
Weihnachtstradition mit ihren zahlreichen Bräuchen ist mittlerweile im Erzgebirge derart ausgeprägt und über Jahrhunderte stabil, dass sie alle anderen Bräuche im Jahresverlauf überstrahlen und sich allem Anschein nach zu diesem zentralen und zeitlich längsten Fest hinbewegen, -
damit im Weihnachtsland Erzgebirge das ganze Jahr über Weihnachten ist...

G.B.S.