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THEATER ABC

 

 


 

 
DDR-Geschichte als Parodie

Mit dem Musical „Sonnenalle“ ist dem Annaberger Theater eine bewegte und bewegende Ensembleleistung gelungen, die zur Premiere mit viel Applaus bedacht wurde. Ein Stück, das nicht nur junge Leute wegen der Live-Musik aus den 70er Jahren in die Vorstellungen locken dürfte.

Es ist immer wieder erstaunlich, zu welchen Ensembleleistungen unser relativ kleines Theater mit seinem ziemlich begrenzten Budget und kurzen Probezeiten in der Lage ist, wenn ein markantes Stück, viel Spielleidenschaft und ein erfahrenes Team gestandener Theaterleute sowie ein kenntnisreicher Regisseur ans Werk gehen. Bei der jüngsten Premiere der Filmadaption „Sonnenalle“, die eigentlich als eine Art Musical daher kommt, war erneut ein derart ziemlich idealer Zustand erreicht worden.
Sonnenallee_HP1-6955 (Andere)

Es ist schon eine gekonnte Leistung der Regie (Dietrich Kunze), dieses Nummernprogramm mit wenig durchgängigem roten Faden, so zu inszenieren, dass die reichlich zwei Stunden nicht in nostalgischer Langeweile münden. Das war am vergangenen Sonntag nicht der Fall, obwohl Kürzungen und Straffungen im ersten Teil des Abends dem Stück möglicherweise gut getan hätten. Die Geschichte um jene Leute, die in der Berliner Straße „Sonnenallee“ in den 70er Jahre auf der DDR-Seite der Mauer leben, lieben und leiden, hat der Film von Leander Haußmann 1999 ausführlich und mit großem Zuspruch erzählt. Die Adaption für das Theater kommt durchaus ansprechend, komisch, satirisch, berührend und erinnernd daher. Sonnenallee_HP1-6715 (Andere)
Gezeigt wird die Zerrissenheit eines Ausschnittes der DDR-Gesellschaft in den 70er Jahren, insbesondere unter der jungen Generation, die nach Selbstbestimmung, Freizügigkeit und generationstypischem Verhalten strebt, das aber immer wieder durch Anpassung, Feigheit, Ängstlichkeit, Kontrolle, Unterwürfigkeit – kurz: durch die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR ausgebremst wird. Dass da Nischen entstehen, in die man sich zurück zieht, Sehnsüchte nach dem Unbekannten geweckt, Verbesserungs- und Veränderungswünsche laut und vielmehr leise formuliert werden, wird im Stück in konzentrierter Form und mit vielen parodistischen und satirischen Brechungen gezeigt.
Dass es sich in den 70er Jahren in den meisten Fällen noch um eine Jugend handelte, die sich von der aus der Endzeit der DDR insbesondere darin unterscheidet, dass sie ihr Land noch als reformierbar vermutete, wie u.a. solche Kontrastszenen mit den Leuten auf der Westberliner Mauer-Plattform verdeutlichen.
Dem Regisseur Dietrich Kunze und seinen zahlreichen Darstellerinnen und Darstellern ist es in kurzweiliger und heiterer Form gelungen, Figuren zu zeichnen, die allerdings in vielen Fällen durchaus schon museal anmuten und nur noch Erinnerungswert besitzen, zumal die Ereignisse fast 45 Jahre zurück liegen, aber für die Besucher im vollbesetzten Saal durchaus eine bemerkenswerte deutsch-deutsche Geschichtsstunde mit viel Musik und Tanz über die Rampe ging. Sonnenallee_HP1-7201 (Andere)
Die Musik war es dann auch, die unter der Leitung von Markus Teichler und seiner mit Sonderapplaus bedachten Live-Truppe „auf der Mauer“ (Andreas Gemeinhardt/ Jürgen Häsel, Hans-Peter Marx, Ben Richter/Matthias Kramp, Sven Lerchenberger) u.a. bekannte Titel der Puhdiys, Karat oder der Renft-Combo exzellent interpretierten, zu denen Schauspielerinnen und Schauspieler mitunter erstaunlich gut sangen. Obwohl sie im DDR-Unterricht nur Russisch lernen durften - wie im Stück behauptet, wurden die meisten der dargebotenen Titel dann aber doch in englischer Sprache interpretiert, hatte man sich schließlich nach der Musik hinter dem „antifaschistischen Schutzwall“ so sehr gesehnt, dass eine geschmuggelte Rolling-Stones-Platte dem Lederjacken-Wuschel (Philipp Adam) gar das Leben rettete.
Der Schuss des ABV Horkefeld, der von Nenad Žanić als ein ansonsten gar nicht so unsympathischer Streifenpolizist mit Affinitäten zum „Verbotenen“ gekonnt gegeben wurde, traf den Jungen an der mit einer West-Schallplatte gepanzerten Brust. Sonnenallee_HP2-8021 (Andere)

Unter den zahlreichen Protagonisten, die allesamt hinreißend spielten, sangen und vor allem unglaublich agil tanzten (großartige Choreographie von Bernadett Gäbler), können nur wenige erwähnt werden, die der an sich dürftigen Handlung Farbe verliehen: Als bewährter und gern gesehener Gast am Annaberger Theater wieder einmal Jörg Simmat, der quasi sich selbst im fortgeschrittenen Alter des einst jungen Micha (Sebastian Schlicht) spielte. Dabei sein Leben, seine Aktionen und den Fortgang des Stückes in einer Art Jaques Offenbachscher „Öffentliche Meinung“ - sprachlich angenehm verständlich und spielerisch ausdrucksstark – kommentierte.
Unter den jungen Leuten um den quirligen Sebastian Schlicht fiel der wandlungsstarke Mario des Dennis Pfuhl angenehm auf. Auch Isa Etienne Flacccus machte als Miriam stimmlich und darstellerisch eine gute Figur. Neben betonter Figürlichkeit – sogar halbnackt mit Pfuhl in der Badewanne – überzeugte Kerstin Maus erneut mit ihrer sehr authentischen Musical-Stimme und ihrer wandelbaren Spielleidenschaft als Sabrina, West-Lehrerin und Lady Bump. Christiane Schlott bestach insbesondere in der Figur einer skurrilen Pionierleiterin (neben Sabine und Michas Schwester), die mit ihren Mädels alte Weisen in Erinnerung brachte.Sonnenallee_HP1-7085 (Andere)
In ebenfalls drei Rollen schlüpfte gekonnt und sprechtechnisch auf zu erwartendem Niveau – was nicht in jedem Falle anderen DarstellerInnen bescheinigt werden kann - dann Udo Prucha als Strumpfhosen schmuggelnder West-Onkel Heinz, Schwarzmarkt-Händler und allgegenwärtiger Horch-und-Guck-Typ. Steigerungen waren dann hinsichtlich der Rollenvielfalt noch mit Marie-Louise von Gottberg möglich, die zwei Mütter, eine Schwester und eine Schuldirektorin geben musste. Allesamt stark im Ausdruck und im Spiel, insbesondere die Figur der Direktorin Nizold, in der Parodie und Wirklichkeit fließend in einander übergingen.
Aber auch Marvin Thiede verkörperte  vier Charaktere (einen Grenzer, Michas Vater, Horst Ehrenreich, einen Westfreund und Typ Kante), jener überaus wandlungsfähige, bewegliche und markant sprechende Schauspieler-Gewinn für das Annaberger Theater. Hervorragend seine Verkörperung der zwischen Widerstand und Anpassung hin und her gerissenen Elterngeneration, hier in der überzeugenden Figuren-Zeichnung des Vaters von Micha.
Zu erwähnen wären schließlich noch die bewegte Truppe aus Grenzsoldaten, FDJ-lern, Disco-Besuchern, West-Schülern auf der Aussichtsplattform und die zahlreichen Passanten.
Aber auch das zweckmäßige, viergeteilte und drehbare Bühnenbild von Peter Gross, die zeitgerechten Kostüme von Brigitte Golbs und nicht zuletzt das informative Programmheft von der Dramaturgin Silvia Giese haben mit zum Verständnis und zum großartigen Erfolg der Annaberger „Sonnallee“ beigetragen.
Ist es doch ein Stück hiesiger Geschichte mit einem guten Anteil Erinnerung, die nach Jean Paul mit zu dem „Paradies“ gehört, „aus dem wir nicht vertrieben werden können...

red.
Fotos: BUR/Dirk Rückschloß

Nächste Vorstellungen: 2.3./5.3./8.3./11.3./18.3./24.3.2017
19 Uhr od. 19.30 Uhr
Tel.: 03733/1407-131

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