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Gelungene Integration: Erzgebirgs-Brauchtum

Nun ist sie wieder da, die anheimelnde Zeit, in der sich von alters her insbesondere die Erzgebirger mit allerlei gegenständlichen Brauchtum umgeben, das allerdings nicht immer seinen Ursprung in unserer Heimat hat. Bei genauer Betrachtung all des Mannelzeigs, der Pyramiden und Leuchterspinnen sowie etlicher Rituale in der Weihnachtszeit kann man sogar zu der Auffassung gelangen, dass nur das Wenigste von all dem unserer deutschen, christlich geprägten oder gar erzgebirgischen Tradition entspringt. Im Laufe der Jahrhunderte wurde dieses einst „Fremde“ in unser nicht mehr wegzudenkende Brauchtum nahezu geräuschlos eingegliedert.

Schauen wir uns z.B. das Martinsfest am 11.11. an: Der spätere heilige Martin war ein heidnischer römischer Legionär, der in Panonhálma bei Szombathely in Ungarn geboren worden sein soll und sich später im französischen Tours in einem Gänsestall vor seiner Ernennung zum Bischof versteckte. Da die Gänse ihn aber schnatternd verrieten, üben wir immer am Martinstag heilige Rache durch massenhaften Verzehr dieses schmackhaften Verräterviehzeugs. Türke 2 (Andere)

Der Mann mit Mitra und Bischschofsstab, der uns als Kinder am 6. Januar erschauern lies und mit milden Gaben unsere Aufregung besänftigte, kommt aus der heutigen Türkei. Nikolaus war Bischof vom Myra, das heute Demre heißt und ca. 100 km von Antalya entfernt liegt. Der Ersatz-Weihnachtsmann im roten Kapuzenmantel mit Wattebart ist ein USA-Import von 1924 (wie Halloween und Valentinstag auch), der aber kaum noch den Ruprecht, den heidnischen Krampus als Zuchtrute an seiner Seite hat, wie das beim heiligen Bischof der Fall sein sollte.

Und dass unser wiederbelebtes niedliches Bornkinnl (geborenes Kind) das liebe, kleine Jesuskindlein versinnbildlichen soll, welches als Kind jüdischer Eltern im Westjordanland, im heutigen Palästina, geboren wurde, ist landläufig bekannt.

Unser roter, weißer oder mehrfarbiger Herrnhuter
Adventsstern möchte uns alljährlich daran erinnern, dass es ein besonderer Stern war, der den drei Weisen, den Königen aus dem Morgenlande (Orient/Anatole – wo die Sonne aufgeht), vermutlich ein Weißer, ein Brauner und immer auch ein Schwarzer darunter, den Weg nach Bethlehem zum neugeborenen Knäblein zeigte, wie wir es in unseren Weihnachtsbergen versinnbildlichen, die oft auch als eine orientalisch geprägte Landschaft unsere Begeisterung erheischen. Die Gebeine der Könige aus dem Orient werden im Kölner Dom aufbewahrt und angebetet.Türke 4 (Andere)

Der Weihrauch in unseren katholischen Kirchen und der, der unseren schwarzen Räucherkerzchen entsteigt, der echte also, dieses heilige Räucherwerk unserer heidnischen Vorfahren kommt noch immer u.a. aus Somalia, Äthiopien oder dem Sudan. Und wenn dann so ein schwarzes Kerzchen aus dem Maul eines
Muselmannes im Kaftan mit Turban qualmt, der sich als typisch-erzgebirgische Räuchermännel-Figur seit fast 200 Jahren zwischen all den anderen verhaunen Räucher-Typen behauptet, so haben wird das endlich mal einem Sachsen zu verdanken: August der Starke hat uns mit seiner ausgeprägten Orient-Affinität solche Figuren im Dresdner Grünen Gewölbe hinterlassen, die spätere erzgebirgische Männelmacher freudig als räuchernde Marktlücke entdeckt haben. Nussknacker (Andere)

Aber unbestritten ist der Bergmann eine ziemlich echte germanische Figur der erzgebirgischen Weihnacht, wenn er auch aus Franken und dem Harz hierher eingewandert ist – während der Engel aus dem Lande Jenseits kommt, dem wohl entferntesten Reich, - dem Himmelreich...Pyramiden DDR 1987 (Andere)

Der
Nussknacker wiederum geht auf eine alte ägyptische Grabbeilage zurück, die zwar Nüsse knacken konnte, aber mit dem erzgebirgs-fremden, verbissen dreinblickenden preußischen Korporal nicht vergleichbar ist. Der wiederum hat mitunter verblüffende Ähnlichkeit mit so manch einem besorgten Bürger unserer Tage.

Bei der
Pyramide könnte durchaus der Pferdegöpel das Vorbild gewesen sein, der auch in unseren Breiten im Bergbau zum Einsatz kam und in den einst fast nur orientalisch (wie die weißen Bauten im Orient) bemalten Weihnachtspyramiden verewigt wurde. Dass aber beide schlussendlich auf das ägyptische Gräber-Vorbild und auf die griechische pyramís/πυραμίς zurückzuführen sind, will uns möglicherweise nicht so recht behagen.Leuchter - Schaufenster in Venedig 2016 (Andere)

Abfinden sollten wir uns aber damit, dass die weihnachtlichen
Leuchterspinnen italienischer, besser venezianischer Herkunft sind. Noch heutzutage kann man in diversen Geschäften Venedigs (Foto: Venedig 2016) herrliche Lüster aus Murano-Glas, aus edlen Metallen oder auch aus gedrechseltem Holz bewundern, die unseren Weihnachtsspinnen verblüffend ähneln. Vermutlich waren es die Walen, die Welscher oder Venediger genannt wurden und in unseren Flüssen und Bächen im 15. Jahrhundert nach Gold schürften und in den Bergen nach Edelsteinen suchten, die – vielleicht aus Heimweh – ihre Heimatleuchter mit dem hier vorgefundenen Material Holz nachgestalteten. Dass unsere mehrarmigen Deckenleuchter möglicherweise auf ihrer Reise von Venedig bis ins sächsische Erzgebirge noch einen Umweg über das böhmische Erzgebirge nahmen, ist ziemlich wahrscheinlich.

Der Streit um die Herkunft des
Stollen dürfte aber mittlerweile geklärt und hoffentlich beigelegt sein. Wenn auch als ältestes schriftliches Vorkommen des Wortes Stollen für ein weihnachtliches Gebäck die Erwähnung in einem Innungsprivileg des Naumburger Bischofs Heinrich I. von Grünberg von 1329 für die Gründung der Bäckerinnung in der Stadt gilt, so weiß man, dass es sich dabei nur um eine spätmittelalterliche Umschreibung für ein Weißbrot handelte. Auch aus Dresden kann der echte Stollen nicht kommen, denn dort heißt das weihnachtliche Gebildebrot (das auch die Windelwicklung für das jüdische Jesuskind symbolisieren soll) immer noch Striezel. Dürfte also klar sein, dass der echte Weihnachtstollen nur von dort kommen kann, wo es auch Stollen gibt, die ins Bergwerk führen: Somit wird der erzgebirgische Stollen endlich mal etwas Echtes von hier sein – wenn man mal von den untergemischten Mandeln und dem Zitronat absieht.Neunerlei---Neinerlaa--Andere- (Andere)

Auch das
Neinerlaa/Neunerlei – unser historisches neungängiges Weihnachtsessen – ist in unserer Region entstanden, wenn wir der Amalie von Elterlein im Heiligohmdlied (1799 Ersterwähnung) und Pfarrer Wild (Aufzeichnung von 1807) Glauben schenken wollen. Die mystischen Bedeutungen indes, die jede einzelne Speise begleiten, gehen allerdings weit zurück in heidnische Zeiten, als man u.a. von den indischen Linsen (erst ab ca. 1730 auch im Erzgebirge angebaut) noch quellenden Reichtum und von der aus Asien stammenden Selleriewurzel immerwährende Manneskraft erwartete. Es ist ein uralter und in echten Erzgebirgs-Familien auch gutgepflegter Brauch, dass am Hl. Abend um 18 Uhr, wenn ringsum die Glocken den Frieden der Weihnacht verkünden, ein zusätzliches Gedeck für den „fremden Gast“ auf den Neinerlaa-Tisch gestellt wird. Wer da immer noch behauptet, der Erzgebirger sei nicht weltoffen, der kennt vermutlich den wahren Sinn unserer Traditionen nicht - oder hat ihn vergessen, gar verdrängt... 
 
Diese Glaube an unsere
Traditionen – der mancherorten als Aberglauben verunglimpft wird – sollte bewahrt und weitergereicht werden, könnte er doch möglicherweise nicht nur die altbekannten Berge - bestehend aus Fremdenfurcht, Kleinbürgerlichkeit und Intoleranz - versetzen und gar abtragen helfen, sondern auch Toleranz wenigstens gegenüber den Inhaltsstoffen aus fremden Ländern entwickeln, die sich in den Zutaten vom Neinerlaa oder eben in unseren Raacherkarzln befinden und in unserem erzgebirgischen Brauchtum über die Jahrhunderte inniglich verschmolzen haben, zu einer Art gelungenen Integration geworden sind.

red.