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Luther-Spektakel in Annaberg

Mit der Premiere am vergangenen Sonnabend von „Martin Luther - Bergmannssohn“ hat nun auch das hiesige Theater mit in den Reigen der Hymnen auf den Reformator im Jubiläumsjahr eingestimmt. Dass dabei nur wenige kritische Momente zur Sprache kamen und zahlreich mögliche Bezüge zur reformatorischen Stadtgeschichte Annabergs und zur St. Annenkirche – der ehemals katholischen Kulisse für das protestantische Spektakel – nicht berücksichtigt wurden, darf zumindest bedauert werden
.

Was den Besuchern des abendlichen Luther-Spektakels (Regie: Tamara Korber/Ingolf Huhn, Dramaturgie: Annelen Hasselwander) im Ohr und Erinnerung bleiben dürfte, waren die Chöre der Kantorei von St. Annen unter der Leitung und Mitwirkung ihres KMD Matthias Süß sowie die Stimmen des Theater-Chores (Leitung Uwe Hanke). Da störten dann auch nicht mehr die Gesangsversuch-Einwürfe aus dem Schauspielensemble, von dem in diesem Werk nahezu jeder und jede eine oder mehrere Rollen zu geben hatten.
Martin_Luther_HP2-6856 (Andere)

Es ist nicht nur am Annaberger Theater eine Tatsache, dass SchauspielerInnen in den seltensten Fällen singen können und über eine hörbare Gesangstechnik verfügen, dass es hier aber auch bei einzelnen an der Sprechtechnik hapert, sollte von den Verantwortlichen endlich mit den notwendigen Konsequenzen bemerkt werden.
In den elf Szenen aus dem Leben Luthers zwischen Heim und Wartburg sind durchaus positive Einzelleistungen zu nennen: Marie-Louise von Gottberg, Udo Prucha, Philipp Adam, Sebastian Schlischt, Dennis Pfuhl und Nenad Žanić. In der Rolle des Luther sahen wir einen unterforderten Marvin Thiede, jener in anderen Rollen mehrfach belobte Charakterschauspieler, der hier relativ belanglose Texte mit den üblichen protestantischen Klischehaltungen zu bebildern hatte. Wenn Thiede vieles kann, und davon das meiste recht gut, aber singen kann er nicht. Luther konnte das, wie mehrere Zeitgenossen dies von der „Wittenberger Nachtigall“ berichteten. Neben dem Neuhochdeutschen, dem er zum Durchbruch verhalf und damit auch sprachbildend wirkte, war er im Hebräischen, Aramäischen Lateinischen und im Altgriechischen kundig. Englisch gehörte nicht zu seinem Sprach-Kosmos. Den Annaberger Luther hat man – damit es wahrscheinlich nach Musical klingen soll – englisch singen (also rufen!) lassen. Martin_Luther_HP2-6802 (Andere)
Diese verkrampften Modernismen zogen sich dann durch das gesamte Spektakel, so dass schließlich auch die zu Martin hin entlaufene Nonne Katharina von Bora mit einem Song in englischer Sprache aufwartete.
Als dann auch von kleineren und größeren Gruppen mit Gospel-Klängen Versuche in englischer Sprache unternommen wurden, kam man sich zeitweilig vor wie auf einem Luther-unkritischen evangelischen Kirchentag.

Dabei hatte sich doch Pfarrer Karsten Loderstädt zu Beginn der abendlichen und etwas verregneten Vorstellung in seiner Begrüßungs-Predigt bemüht, eine differenzierte Sicht auf den suchenden, irrenden und auch sündigen Menschen zu zeichnen. Davon war dann im Stück selbst kaum etwas aufzuspüren, obwohl die wissenschaftlichen Studien und die gerade im Jubeljahr der Reformation zahlreich erschienen Biographien diesbezüglich eine Menge auch theatralischen Stoff enthalten.
Nichts vom oftmals jähzornigen Sanguniker mit cholerischen Neigungen, vom geltungsbedürftigen Egomanen, vom Judenhasser, Bauernkriegsverächter, Frauen- und Behindertenverachter. Oh, wie hätte das unser Marvin Thiede verkörpern können!
Luther ein Kind seiner Zeit? Es gab in seiner Zeit auch andere „Kinder“, mit anderem Verhalten, mit humanistischen Grundsätzen, die sie nicht nur verbal äußerten, sondern auch lebten – Melanchton soll hierfür nur als Synonym-Figur genannt werden. So aber erleben wir auch in dieser Luther-Figur und seinem Umfeld, eine amputierte Persönlichkeit, die die seit Jahrhunderten gängige Praxis der orthodoxen protestantischen Reformations-Geschichtschreibung adaptiert.

Als besonderes Manko muss aber bemerkt werden, dass die durchaus möglichen Bezüge zur Annaberg Stadtgeschichte in Zeiten der Reformation völlig verschenkt wurden. Schließlich hatte der Annaberger Stadtgründer Herzog Georg zu Luther ein durchaus positives Verhältnis entwickelt, sogar große Teile seiner 95 Thesen an katholische Fürsten verschickte. Allerdings hat er dann auch bei der Bekämpfung der aufständischen Bauern mit Luther übereingestimmt.
Auch das differenzierte Verhalten Georgs zum Ablasshandel ist beachtenswert. Der vermutlich mehr als sieben Mal in Annaberg weilende Dominikaner-Mönch Johannes Tetzel hätte einen unmittelbaren Bezug zur Stadt im Stück abgeben können. Schließlich wurde er von der Annaberger Bevölkerung jedes mal mit großem Jubel empfangen, bevor er sein rotes Ablasskreuz errichtete. Welch Bilder hätten das ergeben!
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Selbst die Annaberger-Szene zwischen Tetzel und dem Studenten – späteren Annaberger Franziskaner-Mönch – Friedrich Myconius hätte gut ins Bild gepasst, war er es doch, der neben Luther das undifferenzierte Tetzelbild (allerdings fast 40 Jahre nach dem Annaberger Ereignis) verfestigte. Da half auch der Trostbrief Luthers nichts mehr, den dieser 1519 an Tetzel schrieb. Und dass im nahen Buchholz bereits 1524 die Reformation (unter Friedrich dem  Weisen, mit dem sich Luther - lt. Spalatin - übrigens niemals traf) eingeführt wurde und Annaberger (darunter Adam Ries) unter Strafandrohung dort hin pilgerten, spielte ebenso keine Rolle, wie jener Fürstentag im Mai 1539 in Annaberg, in dem im hiesigen Kloster die Reformation für ganz Sachen beschlossen wurde.
Kann aber sein, dass diese Inhalte für das Genre Musical quasi „too much“ sind!

Die 6-er Band um Markus Teichler (Leitung) agierte professionell, wobei die Begleitmusiken nicht immer der Handlung adäquat daher kamen, aber bei den Gospel-Songs die typischen Rhythmen authentisch trafen.
So bleibt es also dabei, dass bei allen anerkennenswerten Bemühungen, dem großen zeitlichen und personellen Aufwand, den zeitgerechten und charmanten Kostümen (Brigitte Golbs) sowie der gut bespielbaren Bühne (Peter Gross) samt Ausleuchtung und Ton (Techn. Leitung: Frank Schreiter) hauptsächlich die Kantorei von St. Annen und der Theater-Chor – insbesondere auch wegen der Zugaben – für die Nachhaltigkeit dieses Abends sorgten und berechtigten Applaus empfingen, währen das Stück selbst hinter den Erwartungen und den Möglichkeiten zurück blieb.

red.

Fotos: Dirk Rückschloss/BUR

Weitere Vorstellungen auf dem Unteren Kirchplatz (bei Regen in der St. Annenkirche):
17./27. und 30. August jeweils 20 Uhr (1 Stunde und 20 Minuten)

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