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THEATER ABC

 

 



Biedermeier-Museum im Theater

Zwei Liederspiele von Albert Lortzing erinnern an ein Theatergenie und zeigen, wie schwer es ist, historischen Geschmack einem heutigen Publikum zu vermitteln - was bei der Premiere am vergangenen Sonntag im Annaberger Theater zu besichtigen war.
Mit einer Vorabveröffentlichung der Rezension der Dresdener Neuesten Nachrichten (DNN) von Boris Gruhl am Ende des Beitrages.
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Die Premieren zweier Liederspiele am 2. Advent 2014 passten nicht schlecht in die sentimentale Vorweihnachtstimmung in unserem Erzgebirge. Albert Lortzing hatte sie 1832/33 mit drei weiteren für seine Theatertruppe geschrieben, die in Osnabrück mit seiner Familie engagiert war. Albert Lortzing war ein Faktotum in allen Genren; heute würde man „Selfmademan“ sagen. Nur so konnte er am Theater überleben. Er war Schauspieler, Sänger, Bühnen- und Kostümbildner, Arrangeur und schließlich ein begabter Komponist eigener Opern wie „Zar und Zimmermann“, der „Waffenschmied“ u.a., vielleicht heute zu Unrecht vergessener Werke. Weihnachtsabend-146
Seine Liederspiele waren für das unterhaltsame Tagesgeschäft gemacht, - das Publikum wollte möglichst wöchentlich eine neue Inszenierung erleben. Diese Miniopern hatten eine meist übersichtliche Spielhandlung. Die szenischen Dialoge und Liedtexte sind meist von Lortzing, ebenso Ouvertüren und Zwischenmusiken sowie die mundgerechten Arrangements.

„Der Weihnachtsabend, launige Szenen aus dem Familienleben“ führt die Zuschauer in ein biedermeierliches Wohnzimmer mit Studierecke, Kaffeetisch mit Tannenbaum und überdimensioniertem Fenster und Tür (Ausstattung: Tilo Staudte), neben denen die Menschen geradezu niedlich agieren können. Der Hausvater Käferling (Leander de Marel) studiert im Lexikon skurrile Lebewesen. Sein Freund Sommer, ein schrulliger alter Kaserneninspektor (Michael Junge), flunkert über alte ägyptische Zeiten und will die Haustochter angeln. Frau Käferling (Bettina Corthy-Hildebrandt) bereitet  mütterlich entnervt den Weihnachtsabend vor. Die älteste Tochter (Madelaine Vogt) liebt ihren Wachsoldaten Gottlieb (Markus Sandmann), der frostig vor dem Hause patrouilliert und vom Vater vorerst kaltgestellt ist. Vetter Michel (Matthias Hildebrandt) nimmt (wieder mal) mit rotem Backenbart Partei für das junge Paar und bringt es endlich mit einem Trick zusammen. Die Dialogtexte haben harmlosen Humor und die musikalisch halbwegs gebildeten Zuschauer können in den Gesangsnummern Komponisten-Raten veranstalten.

Dem Regisseur und Intendanten Dr. Ingolf Huhn haben wir nicht nur diese Ausgrabungen zu danken - ist er doch auch Gründer und Präsident der Lortzinggesellschaft - sondern auch diese spielbare Fassung, deren belebendste Elemente eine Art Hohensteiner Kaspertheater im Fenster sowie die agierenden Kinder, gespielt von Esther Schreiter, Cora Wiehe und Anton-Akira Takahashi, waren. Letzterer, der Kleinste – dessen Name uns irgendwie bekannt vorkommt - sprach seine Texte selbstbewusst und spielte überaus herzerfrischend. Das förderte nicht nur den zügigen Fortgang der Handlung, sondern war witzig, während die Gesangsnummern eher zum stimmungsvoll-sentimentalen Weihnachtsabend als zu einem Opernerlebnis beitrugen. Die zu verhaspelten, manchmal nach hinten gesprochenen Dialoge, waren teilweise schlecht verständlich. Aber ein wenig heimelig ward der museale „Weihnachtsabend“ dann doch!
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Nach der Pause dann eine Uraufführung: „Andreas Hofer“. Das als Freiheitsstück gemeinte Liederspiel wurde bei seinem Erscheinen von der Vormärz-Zensur verboten. Dass es bis heute allerdings keine Bühne aufgeführt hat, dürfte auch etwas mit dem guten Geschmack der damaligen und heutigen Verantwortlichen zu tun gehabt haben! Gezeigt wird ein Ausschnitt aus dem tragischen Freiheitskampfe der Tiroler gegen französische und bayerische Vorherrschaft. Das Stück endet hier mit einem Zwischensieg der Tiroler und der Verlobung von Hofers Tochter (Madelaine Vogt) mit Hofers Adjutanten (Markus Sandmann), der erst am Ende seinen strahlenden Auftritt im nach hinten geschobenen Überfenster hat. Andreas Hofer wird unaufgeregt und würdig von Leander de Marel dargestellt. Und im Duett mit László Vargas Joseph Speckbacher erklingen endlich markige Männerstimmen. Musikalisch sind überhaupt die Ensembles, Quartette, Quintette und die Chöre (Uwe Hanke) die schönsten, manchmal berührendsten Momente des Abends. Spielerisch waren neben Leander de Marel, Markus Sandmann als verdächtigter Spion Johannes Selmayer und Michael Junge als exaltierter, lebenslustiger Pater nicht zu überhören. Musikalisch hatte Lortzing nichts ausgelassen. Neben seiner eigenen flüssigen und differenziert durchkomponierten und nach „Macht des Schicksals“-Klängen duftenden Ouvertüre, die von der Erzgebirgischen Philharmonie Aue unter Leitung von GMD Naoshi Takahashi klangschön und voluminös interpretiert wurde, waren ihm Haydns „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ aus der „Schöpfung“ als Freiheitshymne der Tiroler ebenso wenig zu schade, wie die markig von allen intonierte Kaiserhymne von Haydn am Ende dieses biedermeierlichen Freiheits-Ornaments. Dadurch erhielt der Einakter einen Schwulst von Patriajubel, Glaubensüberschwang und Kaiserdevotion, der den Tirolern von heute kaum gerecht werden dürfte, die noch ihrer territoriale Einigkeit hinterher trauern und auch unter den Habsburgern zu leiden hatten, - von unserem heutigen Empfindungen dabei gar nicht zu sprechen. Andreas_Hofer-006

Man kann die mit viel Pathos inszenierte Uraufführung nur als museale Verbeugung an den großen Theatermann und Komponisten Albert Lortzing verstehen. Im täglichen harten Theater-Geschäft, beim Kampf ums Überleben (Albert Lortzing soll buchstäblich verhungert sein!), konnten eben auch solche unangemessenen, verkitschten Entgleisungen passieren. Da hilft auch nicht das Herzblut der Darsteller und Sänger, unter ihnen der junge Tenor Martin Riek, der für Frank Unger als Peter Kemnater, mit schöner Höhe einsprang. Selbst die Ironie, versteckt in manch szenischer Überhöhung oder auch zwischen den vielen Mini-Alpen auf der wieder einmal von Tilo Staudte voll gestellten Bühne, kann dieses Werkchen nicht ins Diesseits retten! Nehmen wir daher die Abende als nostalgische Vorführungen alter Märchen, wie wir sie in der Vorweihnachtszeit doch besonders mögen.      

E. Figura
Fotos: Theater Annaberg, Rückschloß, BUR
   

 

Vorabveröffentlichung der Rezension der Dresdener Neuesten Nachrichten (DNN) von Boris Gruhl

Wird am Ende bei Lortzing wirklich immer alles gut?
Bei der Erstaufführung von „Andreas Hofer“ bleibt der Held aus Tirol in Annaberg am Leben

Er war der Weltmeister der Spielopern, er schrieb sich seine Texte selbst und stand mit Frau und Kindern auf der Bühne, er war ein Lebenskünstler und konnte doch von seiner Kunst nicht leben. Albert Lortzing, 1801 in Berlin geboren und dort mit 50 Jahren in Armut und hoch verschuldet verstorben, eigentlich verhungert, war „der Urvater der Sozi-Oper“, so sein Biograf Jürgen Lodemann.  Kollegen und Freunde hatten seinen Sarg bei der Beerdigung auf dem Berliner Sophien-Friedhof schwarz-rot-gold ausgelegt. „Und das soll eine Weltordnung sein?“, heißt es programmatisch in Lortzings letztem großen Stück „Rolands Knappen“. Ein Jahr zuvor hatte er in seiner Freiheitsoper „Regina“ erstmals streikende Arbeiter auf die Bühne gebracht, zu seinen Lebzeiten wurden beide Werke nicht gespielt, dafür sorgten eifrige Zensoren.
Von der Zensur verboten wurde auch die Aufführung des Liederspiels „Andreas Hofer“, 1832/1833 in Detmold entstanden, wo Lortzing am Hoftheater als Schauspieler engagiert war und zu komponieren begann.
Die erste vollständige Aufführung dieses frühen Stückes, in dem sich schon Lortzings Methode der Ironie des unbedingten guten Ausganges seiner Stücke deutlich zeigt, von dem bislang nur die Ouvertüre in gedruckter Form vorliegt, alles weitere Material aus handschriftlichen Dokumenten für eine Aufführung aufbereitet werden musste, fand jetzt, mehr als 180 Jahre nach der Entstehung, am Eduard-von-Winterstein Theater in Annaberg-Bucholz statt.
Was es bislang auf der ganzen Welt nicht gab, das gibt es jetzt an einem der kleinsten Theater der Welt: Albert Lortzings grundgütige Hommage an den Tiroler Gastwirt der zur Flinte griff als Napoleon ganz Europa beherrschen wollte und gemeinsam mit den verbündeten Bayern nicht nur die Tiroler unterwerfen sondern auch und vor allem ihnen lieb gewordene Rituale ihres erzkatholischen Brauchtums verbieten wollte. Der Hofer und die Seinen siegen, sie besiegen zunächst die Besatzer, und werden am Ende doch besiegt, denn gegen die Ränkespiele der Mächtigen Europas kam der fromme Mann aus Tirol nicht an. 1810 wird Hofer auf Befehl des französischen Kaisers in Mantua erschossen.
Nicht so in Lortzings Liederspiel. Hier erweisen sich die für feindlich gehaltenen anrückenden Truppen als die des österreichischen Kaisers Franz und den möge, so wie es im Liederspiel auf Joseph Haydns berühmt gewordener Melodie feierlich gesungen wird, Gott erhalten, diesen guten Kaiser Franz.
Nicht dass der Lortzing nicht gewusst hätte, wie es wirklich ausging mit dem Hofer und den Seinen, nein er schuf sich seine eigenen Träume und so kann man seine Stücke auch als klingende Konjunktive deuten, wie es Ingolf Huhn in seiner Annaberger Inszenierung der verspäteten Uraufführung macht. Dafür hat Tilo Staudte in seinem Bühnenbild die Landschaften seiner possierlichen Tiroler Bilderbuchbergwelt so angepasst, dass sie Platz haben zwischen den Wänden eines biedermeierlichen Wohnzimmers.
Leander de Marel ist dieser Volksheld, wie man ihn kennt von zeitgenössischen Bildern, mit Rauschebart und Hut, in Lederhosen. Es bedarf keiner großen Opernstimme für diese Rolle in einem Schauspiel mit Gesang im leichten Stil des Vaudeville. Wenn sich dann doch die spätere Brillanz Lortzingscher Ensemblesätze ankündigt, dann haben der Bassist (Lázló Varga), die Sopranistin (Madelaine Vogt) und der Tenor (Martin Rieck) ihre bemerkenswerten Einsätze, alle anderen singen nach Anweisung des Komponisten als Schauspieler einfach mit.
Auch hier ist längst nicht alles von Lortzing, was nach Lortzing klingt, er nahm sich, was ihm gefiel bei den Kollegen, Haydn erkennt man, Carl Maria von Weber, Louis Spohr oder Daniel-François-Esprit Auber nicht unbedingt, so mischen sich die musikalischen Anleihen mit den eigenen Melodien, alles aber kommt zusammen in der liebevollen Instrumentierung der schon ein gewisser Zauber der Visionen von besseren Welten innewohnt. Das ganze Ensemble, der Chor des Theaters und die Erzgebirgische Philharmonie unter der Leitung von Naoshi Takahashi treffen diesen schönen Stil der nur scheinbaren Bescheidenheit.
Der Uraufführung vorangestellt war das Liederspiel „Der Weihnachtsabend“, von Regisseur Ingolf Huhn in Tilo Staudtes Bühnenbild schon fast in die Nähe des Absurden gerückt, wenn die Erwachsenen zu Kindern werden zwischen den Wänden ihrer Wunschwelten, die so groß geraten sind, dass sie nicht mal mehr die Türklinken erreichen können.
Ein kurioses Spiel um weihnachtlichen Familienfrieden, beinahe gestörtes Liebesglück, vor allem einer lustigen Figur als Vetter, der als clownesker Spielleiter die Fäden zieht und spannt, die Menschlein tanzen lässt wie Puppen zu schönsten Melodien von Mozart, die Lortzing ganz nach seinem Können und Geschmack uns in seiner augenzwinkernden Art als „Launigte Szenen aus dem Familienleben“ präsentiert.
Leander de Marel ist hier als Familienvater Käferling das ganze Gegenteil von einem Freiheitshelden. Zur Familie gehören Bettina Corthy-Hildebrandt als kluge Hausfrau, Madelaine Vogt als Tochter, die am Ende natürlich den geliebten Gottlieb bekommt, den spielt und singt Marcus Sandmann, dem Erfrieren nahe, denn Michael Junge als intriganter Kaserneninspektor mit mehr als freundlichem Blick auf die Tochter des Hauses hat den schwärmerischen Pazifisten am kalten Weihnachtsabend zum Wachposten abkommandiert.
Aber damit auch hier, wie immer, am Ende bei Lortzing alles gut wird, taucht Matthias Stephan Hildebrand als so lustiger wie listiger Vetter Michel auf, löst alle Verknotungen und knüpft neue, zarte Bande. Das freut die ganze Kinderschar, Anton-Akira Takahashi, Esther Schreiter und Cora Wiehe, das Publikum besonders, entsprechend herzlich ist der Applaus.

Boris Gruhl
 

Nächste Vorstellung: 10.12., 19.30 Uhr,
weitere Informationen unter:
www.winterstein-theater.de 
Tel.: 03733-1407-131

15.12., 20 Uhr “Weihnachtskonzert” - Dirigent: 1. Kapellmeister Dieter Klug

Nächste Premiere: 30.12., 19.30 Uhr
“Minettis Blut oder Eine glänzende Vorstellung”
mit Gabriele und Gisa Kümmerling.