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Wiener Jungs in alter Kirche

Die ausverkaufte St. Wolfgangskirche in Schneeberg empfing in ihrer endlich gerüstlosen Würde die Wiener Sängerknaben, das Bach Consort Wien und Solisten zum Musikfest Erzgebirge mit hohen Erwartungen, die nicht ganz erfüllt wurden.
Wiener Sängerknaben (Andere)

Die Anmoderation des Abends sparte nicht mit dem Superlativ, den „wohl berühmtesten Knabenchor  der Welt“ (seit 1296) begrüßen zu können, ohne zu vergessen, dass die sächsischen Thomaner und Kruzianer auch ihr 800-jährigen Jubiläen feiern durften. Begleitet vom Bach Consort Wien unter Rubèn Dubrovsky, der koreanischen Sopranistin Joowon Chung und dem Altus Terry Wey, der ehemals Mitglied und Solist des Knabenchores war, hatten die Jungs am Abend des 16. Septembers 2016 ein anspruchsvolles europäisches Barockprogramm zu meistern.
Die durchweg ebenso berühmten Meisterkomponisten waren in ihrer Zeit reisende Werbeträger in eigener Sache quer durch Europa zu den großen (reichen) Höfen der Kaiser und Könige oder denen, die es werden wollten. So hörten die Schneeberger und Gäste Werke von Johann Georg Pisendel, Johann Adolph Hasse, Johann Joseph Fux, Jan Dismas Zelenka, Antonio Calderea. Antonio Vivaldi und schließlich, als wirklichen Höhepunkt des Abends, die Bach-Motette „Tilge Höchster meine Sünden“, BWV 1083. Auf ihren Reisen waren dann die Herren Kompositeure nicht nur sehr aufnahmebereit gegenüber den Inspirationen durch ihre Kollegen, sonder griffen auch kräftig zu beim Adaptieren, Ab- und Umschreiben und hatten ebenso wenig Berührungsängste zwischen katholischen und reformierten Werken. So ist der Barock als europäisches Phänomen nicht nur in Mode und Baustil, sondern in Kunst und Musik international, bevor an ein politisches Europa auch nur zu denken war. Die Musik, die Interpreten und die Besucher hatten anzugehen gegen die sich brechenden Klänge in einer spätgotischen Hallenkirche, die die komplizierten polyphonen Strukturen zusätzlich verwirbelten, ganz zu Schweigen von Möglichkeiten der Textverständlichkeit. Schneeberg Konzert (Andere)
Die Sängerknaben aus Wein sangen sauber und erwartet schön in den Höhen. Die Vierteilung des eigentlich etwa 100 Sänger umfassenden Chores in verschiedene Reisegruppen ließ aber den fünfundzwanzig Kehlen, die schon zum Stimmbruch den Chor verlassen und ohne männliche Baritone und Bässe singen, die zum Bewundern notwendig Kraft an diesem Abend vermissen. Dazu gelang es dem in alter Musik geschulten Orchester kaum den Hang zum „Begleiten“ zu durchbrechen.
Zu selten konnte der Dirigent bei diesen inspirierenden Kompositionen in den Tempi, den Phrasierungen und melodiösen Bögen inspirierende Akzente herausarbeiten, was hier besonders geboten gewesen wäre.
Überraschend war für einen Teil der Zuhörer sicher die Altusstimme eines Mannes, die an die Tradition der Kastraten anknüpfte. Der Solist Terry Wey trat als verantwortungsbewusster Gestalter und Former schöner Koloraturen hervor. Gemeinsam war ihm mit seiner Kollegin die klaren Höhen, die den Raum füllten. Frau Chungs sehr gerade Töne waren hier der Klarheit im Kirchenrau förderlich, spiegelten aber in keiner Weise barocken Gesangsstil wider. Eine Faustina Bordoni-Hasse, Frau des Hofkompositeurs in Dresden, hatte einst keinerlei Hemmungen, auch in geistlichen Werken mit Tremolo, Verzierungen und kraftvoller Stimmgebung zu strahlen. Auch das gehört zur historischen Aufführungspraxis!
Dennoch war es ein Abend überraschender Kompositionen, zu denen zweifellos das „Salve Regina“ von Johann Joseph Fux und das „Ego sum panis vivus“ von Antonio Caldara für den Chor gehörten. Die Qualität zeigte sich dort, wo der Mut zum klangvollen Einsatz der Stimmen strahlte. Bei Bachs Motette konnten etwas geübtere Ohren auch die Rücksicht und melodiöse Führung des Werkes durch den Komponisten für die großen Kirchenbauten hören. Ein besonderes Lob für die Knaben in den Fugen. Einer unter den großen Knabenchören – neben den sächsischen - sind die Wiener Sängerknaben durchaus!
Zu einer schönen Tradition des nunmehr schon hochgelobten 4. Musikfestes Erzgebirge gehört es, dass Deutschlandfunk und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz einen Teil der Einnahmen an einen der Spielorte übergibt. Diesmal an die Pastorin der Schneeberger St. Wolfgangskirche, die erst 2016 nach Wiederaufbau und Restaurierung fertig geworden war. In ihrem Dank wies sie auf die völlige Zerstörung 1945 des für das Selbstverständnis der Region wichtigen Kirchenbaus hin, in dem nun auch der berühmte Cranach-Altar wieder in Schönheit erstrahlt.

Eveline Figura
Sendetermin des Konzerts im Deutschlandfunk: 5.3.2017, 21.05 Uhr