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Januar 2021



Ewig rieselt der Kitsch...

Das Weihnachts-Fernsehen macht aus dem Erzgebirge eine zuckersüße TV-Fake-Landschaft. Massenverdummung, statt Information, Kultur und wirklichem Brauchtum.

Der öffentliche Streit um die Erhöhung der Fernsehgebühren in Deutschland ging um alles Mögliche, nur nicht um eine gesellschaftliche Diskussion über Inhalte, Kompetenzen, Qualitäten. Die Zuschauer als Zahler blieben dabei außen vor. Ja, worum ging es eigentlich? Den Streit des Sachsen-Anhaltinischen Ministerpräsidenten gegen den Rest seiner Kollegen der anderen Bundesländer und der öffentlich-rechtlichen Medienwelt hat kaum jemand verstanden. Ging es doch lediglich um die Anhebung der Rundfunk- und Fernsehgebühren um die 80 Cent. Das regt heute kaum jemanden auf, wird doch Vieles teurer. Denen es weh tut, schmerzt Anderes viel mehr: Die unhaltbaren Strompreise, regelmäßige Mieterhöhungen, Rentensteuer, Zuzahlungen zu Medikamenten, Pflegeleistungen, Zahnarzt, und und und.

tv1 (Andere)Die Normalverdiener zucken mit den Schultern, kann man doch eh nichts ändern. Die Reichen kümmert´s nicht. Und nun ist die Diskussion beendet, bevor sie begonnen hat und damit schon wieder vergessen.

Die “SuperIllu” sorgt sich um “unsere” Lieblingsstars. Man sollte sich eher darum sorgen, dass sie auf ewig bleiben könnten. Der Kahlschlag hat schon lange stattgefunden. Abb.: privat

In Corona-Zeiten aber schauen auch die mehr in die Röhre, den Fernseher, die sonst lieber in Theater, Kinos, Konzerte gehen, Weihnachten Kirchenmusik, Kabarett oder Literaturverfilmungen hören und sehen wollen oder gar Ausstellungen ansehen oder Bücher lesen. Nun wissen wir, dass das Kulturvolk sowieso eher wenig zu sagen hat, weil es nicht die Masse ist, vor deren Straßengewalt sogar Regierungen und Polizei kuschen, aber doch etwas zu sagen hat, -mitreden will. Das ist bekanntlich auch nicht lautstark, sondern argumentativ.

Kunsthonig und Engelskitsch

Das Weihnachtsprogramm brachte es an den Tag. Das, was das Gehirn ansprach waren die Informationssendungen, einige schöne Konzert- und Opernaufzeichnungen aus vergangenen Zeiten, ein paar schöne Filme aus Frankreich oder der Billy Wilder-Kiste, deutsche, tschechische, russische Märchen-rauf und runter, tolle Naturfilme, Histories, Dokus aus den Bundesländern und aller Welt, wer das sehen wollte.

Nachmittage lang lief Wintersport am Stück und Fußball vor leeren Rängen; es sei den Fans gegönnt! Dazu Weihnachtsgottesdienste mit Predigten vor mit Abstand besetzten Bänken und verdünnter Musik. Warum also geschlossene Theater und Museen? Auch die können Abstand. Im Fernsehen also gab´s schon ne Menge Qualität.

In den dritten Programmen viel Wiederholungen und dann Weihnachtsschlager-Sendungen zum Übelwerden: Helene Fischers Altzirkus-Shows, Silbereisens Lichternummern mit aus anscheinend aus Altersresidenzen geholten Altstars, deren Glitzeroutfits mit Tonnen Schminke und Schmalzsounds wetteiferten. Man kann gar nicht so schnell zur Fernbedienung greifen wie einem schlecht wurde.

Und dann die Erzgebirgssendungen, auf die man sich früher mal freuen konnte, weil neben zwei, drei Schlagerfritzen auch wirkliche Volksmusik gespielt wurden. Heute war´s umgedreht: Uta Brezan parlierte mit den „Künstlern“, der Geyerischen Bergsänger über Traditionsbewusstsein und deren Pflege, während diese mit Kunsthonigsound, gekünsteltem Erzgebirgsdialekt ihre nebenamtlichen Mucken verdienten.

Das sogenannte Erzgebirgsensemble Aue, das früher wirklich authentische Lieder sang, steht zwar immer noch im Bergmanns-Habit herum, gesäuselt werden aber Schlagerliedchen des Leiters, Herrn Kind, die vor Mutterl- und Engelskitsch nur so triefen. Die russischen Hörner, ihr Alleinstellungsmerkmal, waren allerdings in ihren Behältnissen geblieben.
Die Moderatorin Uta Brezan, auch bekannt für ihre Tiervermittlungssendungen, selbst führte von Vortrag zu Vortrag, sang selbst in der einzigen Bergkirche Sachsens in Annaberg, ohne die Orte zu erwähnen, vor dem altehrwürdigen Altarbild „Jacob auf der Himmelsleiter“ ihren Neuengelskitsch, interviewte einen Herrn Giovannini aus Südtirol, der das Erzgebirge gleich zu seiner Zweitheimat erklärte, weil sich hier wohl gut Honorar machen lässt.

tv2 (Andere)Maxi Arland säuselte, de „Randfichten“ mit alten Rammelnummern vom Raachermannl machten „Stimmung“. Einzig die junge „Vokalgruppe VIP“ (welch ein Name!) sang klare, schöne Weihnachtslieder und bei der Erzgebirgsgruppe Schwarzwasserperlen war die traditionelle Besetzung mit hohen Frauenstimmen zur Zither als traditionell auszumachen, -mal abgesehen von bayrisch anmutenden Dirndlkleidern, die nix mit uns zu tun haben.

Lieber eine alte Platte auflegen, als dem “neimodschen” Gesäusel beim MDR zuhören...

Die Montanregion Erzgebirge wurde 2019 WELTERBE. Das wurde mit keinem Wort erwähnt, und mit dieser Programmgestaltung könnte es uns glatt wie Dresden mit seiner Waldschlösschenbrücke gehen...! Die Redaktion der Sendung hatte eine Frau Ines Keilholz, von erzgebirgischem Brauchtum oder gar Musik keine Ahnung! Wichtig ist nur, dass man dem vermuteten doofen Volksgeschmack entgegen waberte.

Und dann noch: „So klingt´s bei uns im Arzgebirg“ mit der achtzigjährigen Marianne Martin aus Thalheim. Verdienstvoll seit gefühlten fünfzig Jahren auf dem Heiliabendsendeplatz um ca.16 30 Uhr. Wahrscheinlich konnte sie sich gegen weich gezeichnete Bilder und Pink umspieltes Ambiente nicht mehr wehren. Zwischen Flitter waren klar gestaltete Holzfiguren und Pyramiden kaum noch auszumachen. Die neue Moderatorin Frau Illing, die immer ihre eigenen Kinder mit an sich drückt und auch gerne mit schöner Stimme viele Engelslieder singt und ansonsten Muttertagsprogramme macht, wird sicher in der Zukunft Erzgebirgisches kaum sauber halten können.

Zwischen keiner Bergparade 2020 gab es immerhin alte Weihnachtsmarkt-Dokfilme aus Annaberg-Buchholz oder Filme mit Axel Pulthaupt über altes Handwerk und wirkliche Traditionspflege. In der Musikpflege wurden wirkliche, auch sehr lustige Erzgebirgssänger wieder übersehen wie Jörg Heinike aus Buchholz, der einsam seine Bergparade 2020 durch die Stadt ging und spielte, Peter Rehr aus Scheibenberg, der alte und neue Texte unverfälscht gibt, de Ranzen, Süß und sein Ensemble, Crottendorfer Spatzen u.a. oder neue erzgebirgische Texte der Gruppe „Wind,Sand und Sterne“ mit dem Liedermacher Stefan Gerlach und andere.

Das setzt aber Recherche vor Ort voraus und auch Kulturleiter, die Bescheid wissen über Musik und Kunst bei uns und nicht nur die engagieren, die sich aufdrängen. Von der Präsentation der auch kleinen Theater (Deutschland hat mehr Operntheater als der Rest der Welt!), wenn sie endlich wieder spielen oder großartiger Kirchenmusik-Ensembles ganz zu schweigen. Zugegeben: Das Bachsche „Weihnachtsoratorium“ von 2019  am späten Abend unter Thomaskantor Schwarz war ein Genuss und hat mit den Massenmist an amerikanischen Sitcoms, Phantasie- und Horrorfilmen, Krimi-Wiederholungen und Soap-Serien versöhnt. Mich und ein paar andere.

“Die Masse will das!“, sagen die Einschaltquoten. Wer aber sagt den Programmdirektoren etwas von Bildungsauftrag, von Filmen die trotzdem mit Spannung wahre Gesellschaft zeigen, von ungenutzten Filmarchiven der UFA in Babelsberg, von denen sogar das DDR-Fernsehen profitierte oder, dass man mit Geld der Zuschauer sogar immer mehr bei jungen Leuten vergessene große Literatur verfilmen könnte, neben Fußballtantiemen und Stargagen für Altstars. Zugegeben: man sollte nicht Äpfel mit Matschobst vergleichen und auch was die Mehrheit gut findet, hat seine Berechtigung!

Aber bei der Verwendung der TV-Gebühren darf man schon rechnen können: Z.B. wie viele Auslandskorrespondenten braucht man eigentlich in den USA, Japan, Paris und Hinterpumukel, die ihre zwei Sätze in Echtzeit ins Mikrophon flöten? Rationalisierung tut Not bei allem wichtigen Info-Auftrag.
Ja, Fernsehen ist Kultur!

Horror in Coronazeiten! Ich würde die kleine Erhöhung der Gebühren gern zahlen, demnächst, wenn ein wenig mehr an durchdachter Qualität spürbar würde. Viel abfragbare Kompetenz sitzt z.Zt. brach oder im Homeoffice. Manchmal gibt es auch Sternstunden: Die Ferdinand-von Schirach-Verfilmungen, Altaussee-Film, Bild ohne Autor, so mancher „Tatort“ und vielleicht manchmal auch mehr originale alte und neue Volksmusik???

Eveline Figura