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THEATER ABC

 

 

Februar 2020



Operette, ohne sehen zu können

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Am 02. Februar 2020 gab es im Winterstein-Theater ein völlig neues Angebot: Die Operette „Die Csárdásfürstin“ für ein nicht sehendes Publikum mit Audiodeskription. Das heißt, für Blinde werden die Vorgänge auf der Bühne durch eine akustische Beschreibung auf Empfangsgeräte synchron wiedergegeben. 

Der erste Gedanke, der manch einem kommen mag: Musiktheater für Blinde und stark Seheingeschränkte, ja geht das überhaupt? Da ziehe man sich gehörig an den Ohren  – ich tat es auch – und hinterfrage seine eigene Unwissenheit und Vorurteile. Gleich vorneweg, ja es geht, sehr gut sogar. Darüber hinaus ist es auch für einen sehenden Menschen eine lehrreiche Erfahrung.

Auf der Hauptbühne des Theaters konnten vor der Vorstellung die Kulissen mit den Händen erkundet werden. Foto: Eva Blaschke

Diese spezielle Veranstaltung war lange im Voraus organisiert und mit einem Zusatzprogramm versehen worden. Vor der eigentlichen Vorstellung begaben sich die alle Besucher mit Sehbehinderung zur Studiobühne. Diese liegt in der 2. Etage des Theaters und auf dem Weg dahin, mehrere Personen mit Langstock vor mir, fragte ich mich, ob das Haus eigentlich schon immer so viele Stufen und Türschwellen gehabt hat. 

Auf der Studiobühne gab es zunächst eine kurze Werkseinführung. Wer das Stück noch nicht kennt, kann die Besprechung dazu ebenfalls auf dieser Seite lesen. Anschließend kam ein Punkt, welcher die nicht sehenden Gäste sehr erfreute: Requisiten und Kostüme, teilweise samt darin steckender Darsteller, konnten betastet werden. Von diesem Angebot wurde reger Gebrauch gemacht und Frau Madelaine Vogt und Herr Jason-Nandor Tomory sowie zwei Darstellerinnen aus dem Extraballett standen dafür in den Kostümen ihrer jeweiligen Rollen zur Verfügung.

blindb (Andere)Anschließend ging es auf die Hauptbühne, wo der Bühnenmeister Silvio Bartl den Aufbau von Bühne und Bühnenturm erläuterte sowie die Kulissen der „Csárdásfürstin“ beschrieb. Diese konnten mit den Händen erkundet werden. Nach dieser intensiven Vorbereitung begann dann die Vorstellung.

Über ein Empfangsgerät, welches auf ein Ohr gesetzt wurde, hatte man nun die Möglichkeit, das optische Geschehen auf der Bühne in Echtzeit beschrieben zu bekommen. Mit dem freien Ohr hörte man gleichzeitig Musik und Gesang. Für Zuschauer, welche kein Empfangsgerät trugen, war es eine normale Vorstellung.

Darsteller und Kostüm, hier Jason-Nandor Tomory
als Graf Boni, werden ertastet. Foto: E. Blaschke

Bei den verwendeten Geräten handelte es sich um Modelle, wie man sie auch beim Simultandolmetschen, etwa auf deutsch/tschechischen Konferenzen, benutzt. Die Sprecherin, Frau Maila Giesder-Pempelforth, hatte sich gut auf die Aufführung vorbereitet. Sie sagte vieles Sekunden vor dem Geschehen an, sodass das Begreifen und die Akustik von der Bühne zusammen fielen und sich ein Gesamteindruck ergab. Sie wurde für ihre Arbeit von den Zuhörern sehr gelobt.

Das Fazit aller Beteiligten fiel positiv aus. Für einen ersten Versuch hat alles gut geklappt, kleinere Verbesserungen im Ablauf sind immer möglich. Eine regelmäßige Durchführung dieses Projektes wird als wünschenswert und als Bereicherung angesehen. Die Technik wurde von der Oper Chemnitz leihweise zur Verfügung gestellt, finanziell gefördert wurde der Nachmittag von der Aktion Mensch. Das Annaberg-Buchholzer Theater arbeitete in Kooperation mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen.

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Die vier Hauptdarsteller auf der Bühne. Frau Vogt (2. v. l.) und Herr Tomory (3. v. l.) standen vor der Aufführung zum Betasten zur Verfügung. Das rote Kleid von Frau Grothkopf konnte ausgiebig auf einer Figurine befühlt werden. Foto: Ronny Weber/BUR-Werbung

Es wäre schön, wenn derartige Vorführungen für sehbehinderte Personen zur Normalität werden würden. Einfach ohne großes Aufhebens regelmäßig durchgeführt und im Spielplan vermerkt. Mit der heutigen Technik ist dies kein Hexenwerk. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass diese zusätzliche Arbeitsleistung einschließlich der notwendigen Geräte dann auch regulär in der Finanzierung der Theater enthalten ist.

Beruflich bedingt, habe ich eine Vorstellung von dem immensen Arbeitsaufwand der allein durch Beantragung und Abrechnung eines solchen Projektes entsteht. Wenn für jeden solchen Abend Geld bewilligt werden muss, ist fraglich, ob dergleichen auf Dauer durchzuhalten ist. Sinniger wäre es hier, in Abwandlung eines alten Sprichwortes, keine einzelnen Fische zu finanzieren – sondern das Angeln.

Eva Blaschke

https://www.winterstein-theater.de/