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Dezember 2019


Ein Abend für die Freiheit

Am 30. November 2019 feierte in Freiberg eine ungewöhnliche Fidelioaufführung Premiere. Lessing, Brecht und Kant waren auch dabei und nahmen an einem geglückten Experiment teil.

Die Handlung der Oper Fidelio ist eigentlich sehr überschaubar: Eine als Jüngling verkleidete Frau namens Leonore versucht, ihren Ehemann Florestan aus dem Gefängnis zu befreien. Die Tochter des Kerkermeisters, Marzelline, verliebt sich in den neuen „Knecht“ und auch Vater Rocco steht diesem „Schwiegersohn“ wohlwollend gegenüber. Als der Gouverneur Pizarro das Gefängnis besucht, spitzen sich die Ereignisse zu und drohen tragisch zu enden.

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Die Sprecherin, Franka Anne Kahl. Fotos: Jörg Metzner

Dazu kommt die äußerst vielseitige Musik von Ludwig van Beethoven, welche Zartheit, Liebe, Freude, Jubel, Rache, Mordlust und noch so viel mehr abbildet. Das Libretto stammt von mehreren Herren: Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke nach einer Vorlage von Jean-Nicolas Bouilly. Die endgültige Fassung des Werkes kam 1814 in Wien zur Uraufführung. Am Mittelsächsischen Theater hat man sich für eine konzertante Aufführung entschieden. Was man im ersten Moment für ein Defizit halten könnte, erwies sich als großes Plus: Die Sänger konnten sich gänzlich auf den Gesang konzentrieren und als Rahmenhandlung war eine, die innere Leonore verkörpernde, Sprecherin mit neuen Texten eingefügt worden.

Diese Texte hatten es in sich. Es handelte sich um Zitate bekannter Persönlichkeiten, welche sich mit dem Thema Mensch sein und Freiheit befassen. Verwendet wurden Äußerungen von Lessing, Schiller, Büchner und Kant, aber auch von Bertolt Brecht, Nelson Mandela und Heiner Müller. Nun denken Sie bitte nicht, es habe als das bunte Potpourri gewirkt, als welches es sich hier liest. Nein, das Ganze ist so gekonnt ausgewählt und ineinander gesetzt, dass man streckenweise wähnte, es stehe im Libretto. Ein Bravo dafür an Ralf-Peter Schulze und Christoph Nieder.

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Die beiden Hauptdarsteller: Sonja Maria Westermann als Leonore bzw. Fidelio und Frank Unger als Florestan

Zum 250. Geburtstag des Komponisten wird ein Opernfreund in der Spielzeit 2019/20 sicher reichlich Gelegenheit haben, die einzige Oper Beethovens zu besuchen. Warum sollte man dafür diese  Inszenierung wählen? Nun, selbst wer Fidelio schon oft gehört und gesehen hat, geht aus dieser Aufführung mit Gewinn nach Hause.

Die Sprecherin (Franka Anne Kahl) vermittelt mitreißend, ja schon zwingend, eine Vertiefung des bekannten Themas, neue Perspektiven und damit Einsichten. Da Bühnenbild, schmucke Kostüme und szenische Darstellung fehlten, blieb viel Raum für die Musik. Der Dirigent der Mittelsächsischen Philharmonie, Raoul Grüneis, hatte immer ein Ohr bei den Solisten und die Interaktionen waren stimmig. Dies ist nicht in jedem Theater so.

Die Marzelline, Tochter des Kerkermeisters, gab Lindsay Funchal. Sie war stimmlich und darstellerisch eine ganz aufrichtige, jugendliche Verliebtheit und dabei sehr sympathisch. Den Kerkermeister Rocco verkörperte Gregor Rozkwitalski mit einem großem Schalk im Nacken, lebensecht. Rocco ist die ambivalenteste Figur des ganzen Stückes. Jedem ist diese pragmatische Feigheit, das Fähnlein im Winde, welche letztendlich nur an sich denkt, wohl hundertmal begegnet. Ständig hat man das Gefühl, die Figur für ihre Äußerungen schlagen zu können – und dann lässt man es, denn man träfe wohl meist sich selbst.

Jaquino, den ursprünglichen Bräutigam von Marzelline, sang Johannes Pietzonka. Stimmlich und mimisch hatte man einen geradlinigen jungen Mann mit schlichtem Gemüt vor sich, der gar nicht begreifen konnte, warum das Leben plötzlich nicht mehr in seinem Sinne verlief. Der Pizzaro von Elias Gyungseok Han war in jeder Hinsicht von großer Macht und Gewaltbereitschaft. Trotzdem gelang es, Verständnis für die Motive der Figur zu wecken, ein beachtlicher Spagat. Hätte Florestan an Pizarros Stelle eigentlich anders gehandelt?

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Alle sieben Sänger der Oper. V. l. n. r.: Pizzaro (Elias Gyungseok Han), Marzelline (Lindsay Funchal), Rocco (Gregor Rozkwitalski), Leonore (Sonja Maria Westermann), Florestan (Frank Unger), Jaquino (Johannes Pietzonka) und Fernando (Sergio Raonic Lukovic).

Die Sängerin der Leonore war ein Gast, welcher erstmals in Freiberg sang: Sonja Maria Westermann. Im 1. Akt wirkten Stimme und Darstellung der äußeren Leonore (sicher beabsichtigt) sehr beherrscht und zurückhaltend, bald schon technisch kalt. Die aufgewühlte, innere Leonore wurde ja von der Sprecherin verkörpert. Umso größer war dann die Steigerung der Figur im 2. Akt hin zu Emotionen und Jubel. Frank Unger sang den Florestan mit Kraft und Wucht. Dieser Gefangene war trotz langer Haft ungebrochen, stolz und mit sich selbst im Reinen. Man sah hier innere Stärke, welche aus Pflichterfüllung und dem Bewusstsein rechten Tuns erwächst.

Fernando, ein Freund Florestans, wurde von Sergio Raonic Lukovic verkörpert, so solide und unerschütterlich wie von ihm gewohnt. Der Chor (Leitung Peter Kubisch) steigerte sich innerhalb des berühmten Gefangenenchores deutlich. Bei „Wir sind belauscht mit Ohr und Blick“ lag Spannung in der Luft. Als 1. und 2. Gefangenen hörte man hier Sang Tea Lee und Frieder Post. Das gewöhnlich eher zurückhaltende Freiberger Publikum dankte zum Ende beider Akte mit langem Applaus.

Fazit: Eine ungewöhnliche Aufführung, deren Besuch empfohlen wird. Sie finden ein geglücktes Experiment, welches einen anregenden Abend über das Thema Freiheit bietet.

Eva Blaschke

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