LESERPOST
ÜBER UNS
IMPRESSUM
WERBEN

Gegründet 1807

www.annaberger.info

Wiedergegründet 2011

    POLITIK   WIRTSCHAFT   KULTUR   LOKALES   HISTORISCHES   STADTFÜHRER    WEIHNACHTEN    GASTRO

 

THEATER ABC

 

 

Mai 2019


Französische Revolution in Freiberg

Die Oper Andrea Chénier von Umberto Giordano erlebte am 27.04.2019 im Freiberger Theater eine beeindruckende Premiere. Der Dichter Chénier, am Vorabend der Französischen Revolution noch ein Volksheld, wird schließlich selbst ihr Opfer.

Chenier1 (Andere)Das Werk wird des Öfteren aufgeführt, meist jedoch an großen Opernhäusern und dann oft mit international bekannten Sängern. So wird die Oper im Jahr 2019 noch in London, Sydney, Melbourne, Tours, Triest, Sevilla, Prag, Budapest, Wien, München und Berlin gezeigt. Selbst die Aufführung im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin erscheint einem beinahe als Ausreißer auf dieser Liste. Freiberg und Döbeln befinden sich also in großer Gesellschaft.

Die Handlung der Oper beginnt inmitten einer Adelsgesellschaft am Vorabend der Revolution in Frankreich. Im Hause der Gräfin Coigny ist auch der Dichter Andréa Chénier anwesend. Seine Verse kritisieren jedoch den gesellschaftlichen Zustand und die bittere Armut vieler Menschen. Er wird von den Anwesenden abgelehnt, lediglich die Tochter des Hauses, Maddalena di Coigny, teilt seine Sicht. Carlo Gérard, ein Angestellter, fordert Nahrung für die Hungernden und wird daraufhin entlassen.

Leonora Weiß-del Rio als Maddalena di Coigny und Frank Unger als Andrea Chénier. Fotos: © Mittelsächsisches Theater, Fotograf Jörg Metzner

Die Revolution bricht aus. Gérard nimmt unter den Revolutionären eine bedeutende Position ein, Andrea Chénier jedoch wird verdächtigt, nicht revolutionär genug zu sein. Beide Männer lieben Maddalena, welche sich Chénier zuwendet. Schließlich lässt Gérard Chénier anklagen. Maddalena bietet sich Gérard an, um ihrem Geliebten das Leben zu erhalten. Als Gérard ihre Liebe erkennt, versucht er, Chénier zu helfen. Aber auch ihm ist es nicht mehr möglich, die Geschehnisse zu beeinflussen. Eine Anklage ist gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Als Maddalena sieht, dass Andrea Chénier nicht mehr zu retten ist, tauscht sie ihren Namen mit einer verurteilten Frau. Andrea und Maddalena sterben zusammen.

Den Dichter André Chénier hat es übrigens wirklich gegeben. Er lebte von 1762 – 1794 und starb tatsächlich durch die Guillotine in der Revolutionsphase des „Grande Terreur“. Die Handlung der Oper ist weites gehend erfunden und basiert kaum auf dem tatsächlichen Leben Chéniers. Gleichwohl kann das dargestellte Schicksal als beispielhaft gelten. Während der französischen Revolution (1789-1799) sind wirklich Menschen hingerichtet worden, welche die grundsätzlichen Ideen derselben zunächst begrüßt hatten.  

Die dem Verismo zugerechnete Oper wurde 1896 in Mailand uraufgeführt. Komponiert wurde das Werk von Umberto Giordano, das Libretto verfasste Luigi Illica. 2019 erlebte das Stück nun seine erstmalige Aufführung am Mittelsächsischen Theater. Gesungen wurde in Originalsprache, das heißt auf Italienisch. Zusätzlich wurden deutsche Übertitel (Dramaturgie und Übertitel: Christoph Nieder), zusammen gefasst und gut lesbar, eingeblendet.

Chenier2 (Andere)
Die Verteidigung der Revolution. In der Mitte die Marianne mit einer Fackel.

Das erste Bild zeigt die Adelsgesellschaft erstarrt in ihrer Welt und ihren Formen sowie gewillt, die Wirklichkeit nach besten Kräften zu ignorieren. Wirkungsvoll überzeichnete Kostüme (Ausstattung: Annabel von Berlichingen) werden verwendet, man trägt Brillen mit farbigen Gläsern und ein dicker Vorhang hält die Morgenröte draußen. Die Gesellschaft agiert puppenhaft, lediglich Andrea Chénier (Frank Unger) und Carlo Gérard (Andrii Chakov) wirken lebendig. Maddalena di Coigny (Leonora Weiß-del Rio) ist noch in ihrer Umwelt verhaftet.

Im zweiten Bild, nach erfolgter Revolution, entfällt die Überzeichnung. Die realitätsnahen Kostüme verdeutlichen von  nun an die Bedrohung auch so. Sehr beeindruckend, eher schon beklemmend, ist auch die Darstellung im Kerker. Alle Verurteilten gehen müden Schrittes im Kreis um eine Treppe. Es gibt kein Entkommen. Der einzige Ausweg führt über diese Treppe in den Tod. Als stumme Rolle geht die „Marianne“, die Verkörperung der französischen Republik, durch die Handlung. Zuerst sieht man sie im armen Kleid, dann mit den Farben der Trikolore und schließlich im blutigen Kleid. Zuletzt verhüllt sie sich beim Tod der Liebenden in ein schwarzes Tuch. Ein einfaches, aber starkes Bild.

Ein Lob geht hier an die Regie (Judica Semler), welcher es gelungen ist, nah am Libretto zu inszenieren und alle maßgeblichen Aussagen wirkungsvoll auf die Möglichkeiten einer kleinen Bühne abzustimmen. Große Oper muss also durchaus nicht immer auf den größten Bühnen des Landes stattfinden …

Maßgeblichen Anteil am Gelingen der Aufführung hatten selbstverständlich die drei Hauptdarsteller: Frank Unger mit sicherer Höhe als empfindsame Künstlerseele, Leonora Weiß-del Rio; sehr wandelbar in Stimme und Darstellung sowie Andrii Chakov mit starkem Ausdruck als gewichtiger Gegenspieler. Die Gleichwertigkeit der Sänger auf einem sehr hohen künstlerischen Niveau, potenziert regelrecht den Gesamteindruck. Die Beweggründe der Figuren, ihre Gefühle und Wandlungen werden mitreißend, ja ergreifend gesungen und dargestellt. Nach den großen Arien gab es prompten Szenenapplaus.

Chenier3 (Andere)
Im Kerker. Im Vordergrund Andrii Chakov als Carlo Gérard und Leonora Weiß-del Rio als Maddalena di Coigny.

Neben den Hautrollen, waren noch zwölf (!) weitere Solisten zu besetzen. Besonders auffallend war hier der "Incroyable", ein Spion im Dienste Gérards. Gleichermaßen vielschichtig gesungen und gespielt von Johannes Pietzonka. Die alte Madelon (Kathrin Moschke), welche ihren letzten Enkel zur Revolutionsarmee gibt, berührte ebenfalls sehr. Mit starker Bühnenpräsenz wirkt Sergio Raonic Lukovic in der Rolle des Roucher, einem Freund von Chénier.

Die Leitung des vielfältig agierenden Chores oblag Peter Kubisch. Die gelungene musikalische Leitung verantwortete Raoul Grüneis. Es spielte die Mittelsächsische Philharmonie.

Und noch ein unerwarteter Gast war in der Aufführung gegenwärtig. Der historische André Chénier wurde durch seine, in den Umbaupausen, verlesenen Schriften dem Publikum nahe gebracht. Welch ein weit sehender, die Menschen kennender Dichter. Die Bekanntschaft lohnt sich.

Eva Blaschke

Weitere Aufführungen:

04.05.2019  19:30 Theater Döbeln
12.05.2019  14:30 Theater Döbeln
21.05.2019  19:30 Theater Freiberg

Darüber hinaus wird es voraussichtlich eine Wiederaufnahme der Oper in der Spielzeit 2019/20 geben.

http://www.mittelsaechsisches-theater.de